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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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war eine halbe Stunde überfällig, aber ihre Sekretärin hatte auf Nachfrage erklärt, sie sei bereits unterwegs.
    «Na ja, war ja noch nie eine der Pünktlichsten. Machen Sie mir 'nen Tee, nicht zu heiß, aber nicht kalt ...»
    «Ja, ich weiß, Herr Ansaldi.»
    «... und dann geben Sie mir zwischendurch den Winkler, danach will ich Portugal, und vergessen Sie die Buchhaltung nicht, ich muß die heute noch sprechen.»
    Ich, ich, ich: Kein Satz ohne ich, dachte Frau Gehrmann und nickte nur. Er verschwand türknallend in seinem Büro. In diesem Augenblick kam Isabelle herein. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Heute morgen war sie zum erstenmal seit langer Zeit – seit Jahren schon stand sie, ganz gegen ihr Temperament, jeden Morgen um sechs auf – nicht aus dem Bett gekommen. Am Tag vorher hatte sie mit ihren drei Dutzend Mitarbeitern aus Büro, Designabteilung und Produktion den Pariser Erfolg gefeiert. Patrizia hatte eine Party organisiert und eine Rede gehalten. Mit kleinen Geschenken und rührenden Gesten hatten die Kollegen ihre Chefin hochleben lassen. An diesem Tag hatte Isabelle seit langer Zeit wieder einmal das Gefühl, Erfolg und Ruhm seien etwas Köstliches, Berauschendes. Eine Welle von Sympathie war ihr entgegengeschlagen – nichts von der üblen Nachrede, dem Lästern der Branche hatte sie genervt. Nur Glückwunschtelegramme, Dutzende von netten Faxen, Briefen und Anrufen erreichten sie, Berge von Blumen, Maskottchen. Sie war rundum glücklich und hatte so viel getrunken wie seit langem nicht mehr. Ja! Das Leben konnte schön sein.
    «Tag, Frau Gehrmann.» Im Gehen zog sie ihren Mantel aus und gab ihn der Sekretärin, die sofort aufgestanden war, um sie zu begrüßen. «Ich bin zu spät, ich weiß, aber das Taxi ist am Hauptbahnhof steckengeblieben, schrecklicher Verkehr.» Sie zeigte auf die Tür zum Chefzimmer. «Sicher sind die Herren schon sauer.»
    «Herr Trakenberg ist gar nicht da.»
    «Nicht?»
    «Er ist noch auf Sylt.»
    «Oh.» Isabelle fuhr sich durch die Haare. «Dabei habe ich so etwas Wichtiges. Na ja, dann mal auf in den Kampf.» Ein Päckchen, das sie in ihrer Aktenmappe verstaut hatte, holte sie hervor und überreichte es Frau Gehrmann. «Hab ich Ihnen mitgebracht!» Sie brachte Frau Gehrmann fast immer etwas mit, eine Angewohnheit, die sie von Carl übernommen hatte.
    «Man muß nett zu denen sein, die den ganzen Tag für einen schuften!» war einer seiner Grundsätze.
    Frau Gehrmann öffnete den dunkelblauen, flachen Karton, auf dem in Silber der Name Belle Corthen aufgedruckt war. Ein federleichtes Seidenkarree kam zum Vorschein. Frau Gehrmann legte es sich um die Schultern. «Herrlich!» sagte sie. «Danke!»
    «Gern! Die neue Sommerkollektion!»
    «Weil Sie gerade davon reden, Frau Corthen: Wie war es in Paris? Ich habe in der Zeitung Fotos gesehen und gelesen, daß Sie ...»
    «Es war klasse! Wir hatten einen Supererfolg!» Isabelle klopfte an die Tür zu Peters Büro. «Kleines Wasser, ein stilles?» fragte sie höflich und öffnete die Tür. «Geht das?»
    «Natürlich!»
    «Ach, die Königin der Mode! Toll! Habe nicht mehr mit dir gerechnet!» Peter blieb hinter seinem Schreibtisch sitzen und prokelte sich Reste vom Frühstücksmüsli aus den Zähnen, während Isabelle sein Büro betrat.
    Seit damals, als sie zum ersten Mal mit Carl hier gewesen war, hatte sich viel, eigentlich alles, in diesem Raum verändert. Der alte Charme, die hanseatische Dezenz waren hin. Peter hatte Carls Kontor erobert. Die Achtziger näherten sich ihrem Ende, die Neunziger standen bevor – modern times, es war eine neue Generation am Ruder, und das mußte auch optisch unter Beweis gestellt werden. Peter hatte sich für italienisches Design entschieden. Ein riesiger Kirschholzschreibtisch, eine schwarze Tizio-Leuchte, Eileen-Grey-Sessel aus Chrom und Leder, Stahlregale, Andy-Warhol-Grafik mit den Porträts von Marilyn Monroe an der Wand.
    Frau Gehrmann kam herein und brachte das Wasser. Peter Ansaldi stellte sie eine Dose Cola hin, als wäre er ein kleiner, aufsässiger Bub, den man beruhigen müsse: «Tee ist in Arbeit!»
    «Und dann keine Störung mehr!» bestimmte er.
    Sie nickte und ging.
    «Was kann ich für dich tun?» Er drückte die Metallasche der Dose hoch, sie schäumte zischend über. «Isabelle!» Er schlürfte den Schaum ab, indem er sich herunterbeugte.
    «Du weißt, daß wir letzte Woche in Paris einen großen Erfolg verbuchen konnten.»
    Peter war, wie immer – das mußte man ihm

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