Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
einen kurzen, spitzen Schrei aus. Die anderen liefen zu ihr, um ihr beim Einsammeln der herausgefallenen Kleidungsstücke zu helfen. Isabelle sah hektisch zu ihnen hinüber. Es bimmelte unablässig. Draußen düste heulend ein Krankenwagen vorbei.
Isabelle drückte den Aus-Knopf des Handys und schob Patrizia die Unterschriftenmappe hinüber. «Mach du», befahl sie knapp. «Du hast schließlich Prokura.» Mit diesen Worten sah sie sich langsam in der Runde um und stand dann auf. «Ich höre auf», erklärte sie leise. «Ich kann nicht mehr.» Mit gesenktem Kopf verließ sie den Raum.
Patrizia erklärte den Assistentinnen, sie sollten allein weitermachen, bis sie wiederkomme, und rannte ihrer Freundin nach. Im zweiten Stock des Glastreppenhauses erreichte sie Isabelle. «Was ist los? Geht es dir nicht gut?»
Isabelle blieb auf den Stufen stehen, lehnte sich gegen die kühle, weiße Wand, die von oben bis unten mit großformatigen Porträtfotos von ihr geschmückt war. «Doch», antwortete sie, «es ging mir noch nie so gut wie jetzt.» Kalter Schweiß trat auf ihre Stirn.
Freundschaftlich wollte Patrizia den Arm um ihre Schultern legen, doch sie wehrte ab. «Behandel mich bitte nicht wie 'ne Irre, Patrizia! Es ist alles in Ordnung.» Sie ging drei Stufen hinunter, blieb stehen, drehte sich noch einmal um. «Ich packe meine Sachen und gehe nach Hause.»
«Ja. Mach das. Ruh dich aus. Du bist völlig erschöpft. Du wirst sehen, nach ein paar Tagen ...»
«Du hast mich nicht richtig verstanden!» erklärte sie ruhig. «Ich höre auf, das heißt: Ich höre auf Ganz und gar. Ich mache Schluß hier mit dem allen. Karriere, Kampf, Streß ... ich werde verkaufen. Die Hyänen haben gewonnen. Sie können die Firma haben.»
Erschrocken nahm Patrizia ihre Brille ab. «Belle ... das ... das meinst du nicht wirklich ... Du kannst doch nicht so Hals über Kopf ... Das geht so nicht.» Sie ging die Stufen zu ihrer Freundin hinunter. «Hör mir zu. Du bist überarbeitet. Da reagiert man manchmal übertrieben. Das versteht jeder. Du machst ein paar Wochen Ferien. Mach dir keine Gedanken wegen dem Laden. Ich werde dich würdig vertreten.»
«Du irrst dich. Darum geht es nicht ...»
Patrizia versuchte einen Scherz zu machen. «Ich bin dick!» sagte sie und packte Isabelle ermutigend an den Schultern. «Ich habe immer recht.»
«Diesmal nicht. Ich trage diesen Gedanken schon lange mit mir herum. Jetzt ist die Entscheidung gefallen ...» Sie wandte sich ab und ging zur Tür.
«Du spinnst!» rief ihr Patrizia nach.
«Wenn du Zeit hast, komm heute abend zu mir, okay?» Sie verschwand durch die Glastür im Erdgeschoß. Von oben kam die neue Direktrice angelaufen, die offenbar von der Szene im Konferenzraum gehört hatte. Aufgeregt stürzte sie auf Patrizia zu und fragte, was passiert sei.
«Nichts Besonderes, alles falscher Alarm», flötete Patrizia und setzte ihre Brille wieder auf. «Sie können gleich mitkommen, wir reden über die Kollektion Herbst / Winter, da können wir Sie gut gebrauchen!»
Am Abend fuhr Patrizia mit ihrem neuen roten Fiat zu Isabelles Wohnung, die nicht weit entfernt vom Büro lag. Sie hatte ein paar Tüten Obst mitgebracht und zur Aufmunterung die aktuelle Ausgabe der amerikanischen Harper's Bazaar, in der ein hübscher Artikel über Belle Corthen stand. Nachdem sie mit dem Lift bis nach oben gefahren war und in der Vorhalle an der Tür zum Penthouse geklingelt hatte, öffnete Elena. Sie führte Patrizia direkt ins Schlafzimmer, da Isabelle ihr zuvor gesagt hatte, daß sie ihre Freundin erwarte.
«Was Gesundes für unser krankes Huhn!» rief sie, hielt die Obsttüten hoch und warf die Modezeitschrift auf das thailändische Teakholzbett, auf dem eine Tagesdecke aus gelber Rohseide und ein Berg von Kissen lagen. Das Schlafzimmer hatte ein asiatisches Flair, das Belle besonders liebte. Hängende Schiebetüren mit rötlichen Holzrahmen, zwischen denen Pergament gespannt war, ließen sich lautlos öffnen und führten in den angrenzenden großen Ankleideraum und das Badezimmer, dessen Boden und Wände aus Travertin bestanden. Wie überall in der Wohnung gaben auch hier im Schlafzimmer Körbe mit Orchideen der Atmosphäre etwas Exotisches und Elegantes. Die Vorhänge waren zugezogen. Auf einer alten chinesischen Kommode aus feuerrotem Lack stand eine bronzene Buddha-Figur, die Isabelle vor Jahren von einer Reise durch Vietnam und Kambodscha mitgebracht hatte. Über dem Bett hingen hinter Glas riesige farbige
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