Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
die Mädchen gingen einfach getrennte Wege, hatten nicht mehr dieselben Interessen. Isabelle hatte in der Schule neue Freundinnen gefunden, mit denen sie die Nachmittage verbrachte. Sie trafen sich in Eisdielen, gingen ab und zu, wenn das Taschengeld reichte, ins Kino, hockten zu Hause in ihren Zimmern, hörten Tamla-Motown-Musik, Herman's Hermits, die Bee Gees und die Beach Boys und begannen zu schwärmen. Für Jungs, für Stars, für Modetrends. Mini, Midi, Maxi, Hot pants, Hosen mit weitem Schlag, schwarze Capes für Mädchen und Jungen, in denen die Jugendlichen aussahen wie Schwärme von Fledermäusen, die durch die Stadt flatterten; grelle Farben, buntgeblümte Stoffe, hohe Stiefel, dicke Absätze, den ganzen Flower-Power-Hippie-Look – die sechziger Jahre neigten sich dem Ende zu, die siebziger kamen, und mit ihnen kam ein neues Lebensgefühl, dem Menschen wie Ida nicht folgen konnten.
«Wie sie aussieht! Was sie für Ideen im Kopf hat! Ich komm da nicht mehr mit!»
Carl förderte Isabelles Talente, sehr zum Ärger seiner Familie. Auch Ida war zutiefst verstört. «Ich verstehe nicht, was der Trakenberg von ihr will. Warum trifft sich so ein Mann mit ihr? Der hat doch selber eine Tochter! Mir ist das nicht geheuer!»
Gretel winkte ab: «Hör auf! Der hat einen Narren an ihr gefressen. Warum auch nicht? Es macht ihm Freude, großzügig zu sein, der war schon immer so, er sieht sich gerne als Gönner, und sie hat auch was davon.»
Carl schenkte Isabelle Modebücher, ab und zu ein paar verwegene Teile aus Puppes Kollektion, Stoffreste aus seinem Lager. Er animierte sie, zu zeichnen und zu nähen. Er bildete ihren Geschmack, indem er sie in die Kunsthalle mitnahm und einmal sogar zu einer Modenschau von Puppe Mandel. Isabelle war sofort fasziniert von der Atmosphäre in dem Salon, von der Eleganz der Gäste, die entlang dem Laufsteg auf kleinen rotgepolsterten Messingstühlen saßen, Sekt tranken und jede Kreation heftig beklatschten. Als Carl Isabelle seiner Geliebten vorstellte, konnte sie den Blick nicht von Puppe abwenden. Die Haare kunstvoll eingeschlagen, große, goldgefaßte Smaragde an den Ohren, dramatisch geschminkt, trug sie einen Sari aus Seide, über den ein langer Schal aus gold- und silberbesticktem Chiffon geschlungen war. Puppe musterte Isabelle interessiert, aber außer einem «Guten Tag» wechselte sie kein Wort mit ihr. Sie hatte andere Dinge im Kopf.
Doch Isabelle ging diese Begegnung nicht mehr aus dem Sinn. Zwei Tage später verkündete sie ihrer Mutter, sie wolle beruflich etwas mit Mode machen. Ihre Mutter bekam einen Wutanfall. Sie nahm Isabelle das Nähzeug, die Stoffe, die selbstgenähten Teile, die Bücher und Zeitschriften weg und verschloß alles in ihrem Schrank. Dann bat sie Carl Trakenberg um ein Gespräch und erklärte ihm, sie wolle keinesfalls, daß er ihrer Tochter solche Flausen in den Kopf setze. Isabelle würde auf eine Hauswirtschaftsschule gehen und etwas Anständiges lernen. Sie sagte das mit solchem Nachdruck, daß Carl gar nicht erst versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Damit war das Thema für Ida erledigt.
Das Ende der Schulzeit nahte heran. Isabelle brachte ein schlechtes Zeugnis mit nach Hause. Für ihre Abschlußarbeit, in der sie – Jon hatte ihr das Thema vorgeschlagen und ihr Bücher dazu geschickt – über Seerosen schrieb, erhielt sie immerhin eine gute Note. Doch in Fächern wie Rechnen und Erdkunde schrammte sie nur mit Glück an einem «Mangelhaft» vorbei. Sie sei intelligent, aber leider faul, konstatierte der Klassenlehrer. Er konnte Isabelle weder verstehen noch ausstehen, was auf Gegenseitigkeit beruhte.
Weil sie auf keinen Fall eine Hauswirtschaftslehre machen wollte, kam es zu tagelangen Diskussionen mit ihrer Mutter. Türen wurden zugeknallt, Vorwürfe ausgetauscht. Isabelle schrie, heulte, tobte. Ida verbot, bettelte, entzog Liebe. Die Situation war völlig verfahren, nicht einmal Gretel konnte etwas erreichen. In ihrer Not schleppte Ida ihre Tochter zur Berufsberatung, doch der Mann hinter dem Schreibtisch sprach nur die Empfehlung aus, das Mädchen solle bei seiner musikalischen Begabung doch Schallplattenverkäuferin im Alsterhaus werden, einem alteingesessenen Hamburger Kaufhaus, dort suche man Lehrlinge.
Nach dem Gespräch mit Ida hatte Carl sich zunächst zurückgezogen, aber dann mischte er sich doch wieder ein. Nachdem ihm Gretel von den Problemen berichtet hatte, sprach er Ida kurzerhand darauf an, als sie in der
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