Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
brennendem Ehrgeiz besessen».
«Na», hatte Puppe erwidert. «Das kann er ja nicht von Ihnen haben!»
Nach einem Vorstellungsgespräch im Salon hatte sie dann zugestimmt, daß Almas Neffe ihre Kollektion – überwiegend Kostüme und Mäntel aus Wolle und Tweed sowie Kleider und Hosenanzüge nach dem letzten Modeschrei in geprägtem Gold- und Silberstoff – fotografieren durfte. Zwei Mannequins waren engagiert worden, nun brauchte er noch zwei Assistentinnen, die als Anziehhilfen fungieren sollten. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger wollte er nicht in Puppe Mandels Räumen fotografieren, sondern Außenaufnahmen machen, im Hafen, was Puppe originell fand.
Alma wurde streng, als die Mitarbeiterinnen sich weiter zierten. «Zwei müssen es machen, und wenn Sie es selbst nicht entscheiden wollen, dann entscheide ich es eben, nicht wahr, Frau Mandel? Sie, Patrizia ...»
«Aber ...»
«... und Sie, Isabelle.» Mit diesen Worten rauschten Alma und Puppe ab.
Patrizia kriegte auf Knopfdruck schlechte Laune. «Verdammter Mist!»
«Also bitte!» schimpfte eine der Gesellinnen und vergrub sich hinter sechs Metern Crêpe de Chine, die sie auf Webfehler untersuchte.
«Ich will Samstag mit Freunden an die Ostsee fahren», erklärte Patrizia und setzte sich wieder an ihren Arbeitstisch. Sie wickelte einen Mars -Riegel aus und biß herzhaft hinein. «Und ich hab auch keine Lust, mich immer so ausbeuten zu lassen.»
«Kümmern Sie sich lieber um die Abnäher an diesem Spitzenkleid hier!» befahl die Obergesellin und warf es Patrizia vor die Nase. «Und essen Sie nicht soviel Süßes, Sie werden von Tag zu Tag dicker!»
«Das geht Sie ja wohl gar nichts an!»
«Jedenfalls will ich hier so was nicht hören, Sie sind immer noch Lehrling. Lehrjahre sind keine Herrenjahre!» ergänzte die Obergesellin und verließ ebenfalls den Raum. Susanne schaltete das Radio ein. Patrizia hatte aufgehört zu kauen. Sie und Isabelle sahen sich an.
«Mir paßt es auch nicht», maulte Isabelle und zuckte mit den Schultern, «aber was willst du machen!» Sie schnappte sich die Eimer, die neben den Nähmaschinen standen, um sie mit Wasser zu füllen. Während sie in der Küche den Hahn aufdrehte, dachte sie an Jon. In zwei Tagen wollte er kommen. Sie freute sich schon so auf ihn. Und er sich auf sie. Das ganze Wochenende war verplant. Isabelle wollte ihm ihr Hamburg zeigen, Kneipen besuchen, mit ihm tanzen gehen, in eine der vielen neuen Diskotheken. Sie hatte ihm von der Schramme vorgeschwärmt, dem Nach Acht und Onkel Pö, sie wollte mit ihm nach St. Pauli und auf die Reeperbahn gehen (wo sie selbst erst einmal gewesen war), eine Elbdampferfahrt hatte sie geplant und vor allem hatte sie – ausgerechnet Samstag nachmittag – ein Treffen mit Vivien arrangiert, die sie lange nicht mehr getroffen hatte und der sie Jon vorstellen wollte, nicht zuletzt, um ein bißchen mit ihm anzugeben.
Nach langem Theater und nachdem sie Gretel eingeschaltet hatte, war sogar Isabelles Mutter damit einverstanden gewesen, daß für Jon ein Gästebett in der Wäschekammer neben dem Wohnzimmer aufgestellt wurde und er bei ihnen übernachten durfte. Und nun dies!
Doch zu dem ersehnten Treffen kam es ohnehin nicht, und der Grund dafür war weit tragischer als Isabelles Ärger im Salon. Am Freitag nachmittag war Jon, nachdem er in Albershude einiges erledigt hatte, nach Hause gekommen. Sein Vater war den Tag über wegen eines Vortrags nach Kiel gefahren. Jon hatte nur schnell seine Sachen schnappen und sich dann in den Zug nach Hamburg setzen wollen, der um vierzehn Uhr zwanzig fuhr. In seinem Zimmer steckte er das als Geschenk verpackte Taschenbuch Franny und Zooey von Salinger, eine seiner Lieblingsgeschichten, ein und ging mit seiner Reisetasche in die Küche, um sich von seiner Mutter zu verabschieden. Doch sie war nicht da. Er schaute im Wohnzimmer nach, auch dort war sie nicht. Das war an sich nichts Ungewöhnliches, denn seine Mutter hatte es sich in den letzten Jahren zur Gewohnheit gemacht, lange im Bett zu liegen, manchmal bis zum frühen Nachmittag. Jon sah auf die Uhr. Es war eins. Er ging den Flur entlang und blieb vor der Schlafzimmertür stehen. Einen Moment lang überlegte er, ob er einfach so gehen, ihr nur einen Zettel hinlegen sollte. Doch da es das erste Mal war, daß er nach Hamburg fuhr, und weil er erst Sonntag abend wiederkommen wollte und seine Mutter immer großen Wert darauf legte, daß man auf Wiedersehen sagte, klopfte er zaghaft an die
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