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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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auf der Moorweide Fußball gespielt hatten, beobachtet wurde. Als sie zu ihnen hinübersah, lächelte der älteste der drei sie an und machte, während er den Ball zwischen beiden Händen hielt, mit dem Kopf eine ruckartige Geste, mit der er sie ermutigen wollte, zu ihnen herüberzukommen. Irritiert ging Isabelle weiter. Die Jungen pfiffen ihr nach.
    Es war etwas Seltsames passiert, seitdem sie am vergangenen Wochenende mit Jon geschlafen hatte. Auf einmal schienen die Männer von ihr Notiz zu nehmen, sie mit anderen Augen anzusehen. Hatte sie sich verändert? Sah sie anders aus? Merkte man, daß sie verliebt war? Wo immer sie in den letzten Tagen hingekommen war, hatte man ihr zugezwinkert, sie angesprochen, ihr etwas nachgerufen.
    «Du hast ja Chancen!» hatte Patrizia bewundernd festgestellt, als die beiden vor ein paar Tagen Kleider zu einer Kundin brachten, die in der Nachbarschaft des Salons wohnte, und sich resigniert ein großes Stück Milchschokolade in den Mund geschoben.
    Jon war schuld. Er hatte ihr den Kopf verdreht. Er hatte sie verführt. Er hatte aus ihrer Freundschaft eine Liebschaft gemacht, Schwärmerei in Tatsachen verwandelt. Isabelle war fest davon überzeugt, Jon zu lieben. Keine Sekunde hätte sie in diesem Moment daran gezweifelt, daß es außer ihm niemanden geben könnte, daß er die Erfüllung aller Träume und Sehnsüchte sei. Doch dann öffnete sie die Tür zum Salon, betrat gedankenverloren (ihre Verärgerung über Jon war Besorgnis gewichen) die Halle – und stand Remo Winter gegenüber.
    Die meisten Menschen neigen dazu, ihre schlechten Wesenszüge in erheblich günstigerem Licht zu sehen, als es die Außenwelt tut. Bei einigen geht die unkritische Haltung sich selbst gegenüber so weit, daß sie ihre Schwächen und Fehler nicht einmal wahrnehmen. Sie haben eine besondere Begabung dafür, ihre Stärken herauszustellen, ohne dabei sofort als eitel und selbstverliebt zu erscheinen. Es braucht viel Lebenserfahrung und einen besonderen Instinkt, dies Dickicht von Verstellung und Eitelkeit zu durchdringen und dahinter das wirkliche Wesen zu entlarven.
    Remo war einer von diesen Menschen, denen Selbstkritik fremd ist. «Unser Flutlicht!» hatte Puppe Mandel ihn gegenüber seiner Tante tituliert, nachdem sie ihn kennengelernt und ihn, fasziniert von seiner Art und seinem Aussehen, als Fotografen engagiert hatte. Alma hatte verstanden, was sie meinte. Sobald er einen Raum betrat, hatte er die Menschen darin für sich gewonnen. Er gab sich mit ganzer Kraft dem Überrumpeln und Besiegen anderer hin; er knipste seinen Charme an, um seine Ziele zu erreichen, er strahlte Freundlichkeit und Herzlichkeit aus, er verströmte Kraft und ungeteilte Aufmerksamkeit. In Gesprächen gab er seinem Gegenüber das Gefühl, es gäbe nur ihn oder sie auf der Welt, alles, was der andere sage und tue, sei richtig und gut, ja geradezu hinreißend. Darin war er Carl Trakenberg nicht unähnlich.
    Remo wirkte besonders auf Frauen. Er war ein Womanizer, wie er sich selbst gern bezeichnete. Äußerlich hatte er etwas von Marlon Brando in seiner Rolle als Julius Cäsar: von nicht sehr großer, aber drahtiger Statur, trug er seine dunkelblonden Haare nach Art der römischen Kaiser – kurz, gelockt und nach vorn gekämmt. Seine Augen hatten die Farbe von dunkelbraunem, schimmerndem Topas; seine Oberlippe war leicht aufgeworfen, was ihm etwas Verwegenes und Erotisches gab.
    «Hallo», sagte er knapp und widmete sich seinem Fotoapparat. Isabelle streckte ihm zur Begrüßung die Hand hin, und sie machten sich miteinander bekannt. Während er in der Halle seine Ausrüstung verteilte, beobachtete sie ihn. Bei jedem Schritt schwang er ein wenig mit den Hüften, seine Bewegungen waren fließend und geschmeidig, fast wie einstudiert.
    Puppe Mandel und Alma Winter kamen die Treppe herunter. Nervös redeten sie ununterbrochen aufeinander ein und gingen, eine Woge von Parfüm und Zigarettenrauch hinter sich herziehend, in den Showroom. Dort waren Patrizia, Remos Assistent und eine Visagistin bereits damit beschäftigt, die beiden Mannequins für die Aufnahmen herzurichten. Isabelle zog ihre Jacke aus, legte sie zusammen mit ihrer Tasche auf den Treppenabsatz und folgte ihren Chefinnen. Die Fotomodelle sahen aus wie Schwäne. Sie waren schlank und groß, trugen elegante Mantelkleider in Pastelltönen und bewegten sich kaum, während die Visagistin ihnen die feingeschnittenen Gesichter und die langen, schmalen Hälse mit hellem Puder

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