Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
dort Romanistik und Sport studieren wolle. Sein Vater hatte ihm eingeredet, Lehrer sei auch für ihn der richtige Beruf.
«Ich dachte, du wolltest Schriftsteller werden?»
«Wann hab ich das denn gesagt?»
«Das hast du mir geschrieben ... vor drei Jahren oder so.»
«Schriftsteller! Das ist doch kein Beruf ...»
«Du hast immer sehr schöne Briefe geschrieben, Jon.»
«... jedenfalls nicht für mich.»
«Ich habe sie alle aufgehoben. Jeden einzelnen.»
Er nahm sie in den Arm. Sie saßen schweigend da, betrachteten den Teich. Von einer dicht am Ufer stehenden Rotbuche fiel ein Blatt herunter, wiegend, trudelnd, wiegend, bis es federleicht auf das Wasser sank.
Isabelle sagte: «Ich habe manchmal Heimweh, weißt du. Nach alldem hier.»
«Ich denke, du bist so glücklich in deinem Hamburg.»
«Wenn ich nächstes Jahr mit der Lehre fertig bin ... Ich weiß nicht, was ich dann tun soll.»
«Wirst du denn nicht dort bleiben? In deinem ... deinem ... Mode...» Er suchte nach dem passenden Wort.
«Ich glaube, die Mandel kann mich nicht ausstehen. Mit der Direktrice, der Alma Winter, verstehe ich mich ganz gut, die Mädels da: na ja. Patrizia hat jetzt ihre Lehre zu Ende gebracht, wir mögen uns. Aber alles in allem ... ach ...» Sie machte sich los, fast ein wenig zu heftig. «Ich kann nichts, ich habe eine schlechte Schulbildung, ich bin nichts, ich werde nichts. Damenschneiderin, Untergesellin, Obergesellin, Direktrice: tolle Aussichten. Ich habe meine eigenen Ideen. Das ist nichts für mich!» Sie kickte einen Kiesel in den Seerosenteich. «Mist!»
«Du kannst so viel. Du fängst schließlich gerade erst an. Wir sind jung. Es geht doch erst los!»
Sie ließ den Kopf sinken. «Und dann meine Mutter. Sie versteht mich nicht, ich verstehe sie nicht. Sie ist so voller Ängste. Sie versucht ständig, ihre Ängste auf mich abzuladen. Sie traut sich nichts zu, mir nichts zu, sie traut keinem, ich glaube, sie traut nicht mal dem Leben. Ihre ewige Rennerei in die Kirche, das Beten und das Reden über Gott, im Grunde liebt sie das Leben überhaupt nicht. Sie hofft auf eine andere, eine bessere Welt. Idiotisch.»
Isabelle fuhr sich durch die Haare. «Mit meinem Vater war das alles anders. Er hat an mich, wie soll ich sagen, irgendwie geglaubt. Ich habe das noch niemandem gesagt: Ich vermisse meinen Vater so, Jon. Ich vermisse ihn so, das ist mir erst jetzt richtig klargeworden, wo ich älter bin, erwachsen ... mir fallen ständig Sachen ein, die ich ihn fragen will.»
«Frag mich einfach», sagte er.
Sie guckte ihn erstaunt an. Er lächelte und stupste sie mit dem Zeigefinger an die Nasenspitze. «Ich versteh das ja. Es wäre wahrscheinlich so, wenn ich meine Mutter nicht mehr hätte ...»
«Nein, das verstehst du nicht. Das kannst du auch gar nicht. Es ist etwas, worüber man nicht reden kann, in Wahrheit. Es ist ein andauernder Schmerz, man kämpft dagegen an, man verdrängt es. Ich hätte ihn so gerne noch und es wird niemals geschehen. Niemals. Wenn ich Vivien sehe, ich hasse sie direkt deswegen, zusammen mit ihrem Vater im Garten, auf der Terrasse, vor unserem Garagenhaus, wenn ich aus dem Fenster schaue ... ich glaube, er ist noch nicht mal so ein besonders doller Vater, weißt du? Aber wenn sie nebeneinander stehen und sie ihn so ansieht ... Es tut mir weh. An manchen Tagen brauche ich bloß irgendwo in der Stadt einen Vater mit seiner Tochter an der Hand zu sehen und könnte anfangen zu heulen. Es ist schrecklich.»
Wortlos nahm Jon sie wieder in den Arm.
«Dabei bin ich doch eigentlich keine Heulsuse.»
«Jetzt bin ich ja da. Wenn du willst, dann ...»
Sie unterbrach ihn, legte ihre Finger auf seinen Mund. «Ach, laß uns darüber bloß nicht reden. Dann kriege ich nämlich auch einen Heulkrampf, wenn ich daran denke, daß ich mich nachher in den Zug setze und abdampfe, du hierbleibst, und du und ich ...»
Am Nachmittag desselben Tages kam der Abschied. Es war ein Abschied, der einem Gläschen von Gretels selbstgemachtem Kräuterlikör glich, den sie bevorzugt bei Unwohlsein verabreichte – bitter und süß und berauschend, und viel zuwenig und viel zu schnell vorbei.
Nach langen Gesprächen waren Jon und Isabelle übereingekommen, vorläufig keine Zukunftspläne zu schmieden. Im stillen jedoch hatte Jon sich vorgenommen, seinen sicheren Studienplatz in Kiel aufzugeben und zu versuchen, an die Hamburger Universität zu kommen, um künftig in Isabelles Nähe zu sein. Doch weil er nicht darüber
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