Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
sprach und weil es ziemlich unwahrscheinlich war, daß sein Plan so ohne weiteres gelingen würde, blieb die Zukunft ungewiß.
Der Zug lief ein, und Fritz Schmidt, der sofort mitgekriegt hatte, was sich zwischen den beiden abspielte, verabschiedete sich knapp, gab Isabelle gute Wünsche mit auf den Weg und Grüße an ihre Mutter und Gretel Burmönken und ging. Der Bahnhofsvorsteher kam aus seinem Kabuff geschlurft und winkte dem Zugführer jovial zu. Eine alte Frau in Tracht mit einem Korb unter dem Arm, aus dem ein Strauß goldbrauner Astern herausguckte, ging mit kleinen wackligen Schritten am schnaufenden, langsam ausrollenden Zug entlang. Nachdem er gehalten hatte, brauchte sie noch eine Weile, um zu entscheiden, in welchen Wagen sie einsteigen sollte.
«Luisendorf, Luisendorf», rief der Bahnhofsvorsteher müde, «Reisende in Richtung Hamburg-Altona bitte einsteigen. Der Zug ist abfahrbereit.»
Isabelle umarmte Jon heftig. «Jetzt haben wir ja was gemacht.»
«Ja.»
Der Zugführer ging an ihnen vorbei, den Blick stur auf die Waggonräder gerichtet, als drohten sie abzufallen. «Muß Liebe schön sein!» sagte er. «Nun man rin in'n Zug, sonst is er weg!»
Sie küßten sich, dann öffnete Jon die Wagentür, und Isabelle stieg ein. Er reichte ihr die Reisetasche hoch und knallte mit einem dumpfen Schlag die Tür zu.
Sie öffnete das Fenster. «Hör zu, Jon, komm doch nächste Woche nach Hamburg, ja? Ich rede mit meiner Mutter, du kannst bestimmt bei uns wohnen für zwei Nächte, wie wäre das, hm?»
Er strahlte und hob zum Zeichen seines Einverständnisses den Daumen. Der Bahnhofsvorsteher ging nach vorne zur Lokomotive, hob die Kelle, steckte sich seine Trillerpfeife in den Mund und ließ einen Pfiff ertönen, der durch Mark und Bein ging. Ruckartig setzte sich der Zug in Bewegung, Isabelle wäre beinahe hingefallen.
Jon ging neben dem Waggon her. «Es war schön», sagte er laut.
Sie lächelte.
Der Zug fuhr schneller.
Jon lief mit. «Ich liebe dich!»
Isabelle antwortete nicht. Sie winkte. Er winkte auch, blieb stehen, während der Zug schneller und schneller wurde und aus dem Bahnhof hinausdampfte. «Schon immer!» sagte er zu sich. Der Bahnhofsvorsteher, der ihn gerade passiert, kurz seine Mütze abgenommen und sich den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, sah den jungen Mann erstaunt an.
Kapitel 9
Morgen kommt der Fotograf!» erklärte Puppe Mandel ihren Mitarbeiterinnen, die um sie herum im Atelier standen. «Ich hätte ganz gerne, daß sich zwei von Ihnen für die Aufnahmen zur Verfügung stellen.»
Die Schneiderinnen und Lehrlinge kicherten. Alma schüttelte den Kopf.
«Man kann Dinge auch falsch verstehen wollen!» lästerte Puppe. «Hat jemand meine Muratti Cabinett gesehen?»
Alma zauberte das Päckchen aus der Tasche ihres Kittels und gab es ihrer Chefin. Sie nahm eine vergoldete Zigarettenspitze heraus und ein Streichholzbriefchen. Puppe zog eine Augenbraue hoch.
«Ich schleppe Ihnen doch alles nach!» Alma gab Puppe, die hektisch die Zigarette in die Spitze drückte, Feuer.
Die Modeschöpferin inhalierte tief, legte den Kopf leicht in den Nacken und blies, beobachtet von ihren Mitarbeiterinnen, Ringe in die Luft. «Also?»
Alma klatschte knapp in die Hände. «Bitte, meine Damen! Wir wissen, es ist Ihr kostbarer Samstagnachmittag, aber ...»
«Aber andererseits erleben Sie so mal was anderes, als immer nur in der Werkstatt zu hocken!» ergänzte Puppe Mandel kühl.
Zweimal im Jahr, immer wenn ihre neue Kollektion fertig war, ließ sie die Teile fotografieren. Die Aufnahmen verschickte sie an gute Kundinnen, zusammen mit freundlichen Anschreiben und Einladungen zu den Modenschauen an die Redaktionen von Modezeitschriften und Hamburger Zeitungen, und sie ließ sie vergrößern, rahmen und in den Showrooms aufhängen. Diese Art von Werbung ging auf eine Idee von Carl zurück und kam sehr gut an. In den vergangenen Jahren hatte ein alter Bekannter von ihr, ein Porträtfotograf, diese Aufgabe übernommen, doch er sei inzwischen zu alt, fand Puppe, um ihren Geschmack und ihre Ideen modern umzusetzen, wie sie sagte.
Auf der Suche nach jemand anderem war von Alma der Vorschlag gekommen, es mit ihrem Neffen zu versuchen. Remo Winter – der Sohn ihres Bruders – hatte in seiner Geburtsstadt Zürich eine Fotografenausbildung gemacht und arbeitete nun als Assistent bei einem bekannten Münchner Modefotografen. Er war jung, kreativ und, wie Alma ihrer Chefin erzählt hatte, «von
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