Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
schlecht gelaunt in die Trakenbergsche Küche. Gretel war gerade dabei, die Markteinkäufe wegzuräumen.
«Morgen, Gretel, hast du noch was von deinem Kaffee?»
Gretel legte große, rotbackige Boskop-Äpfel in eine Keramikschale, die neben der Spüle auf der Anrichte stand. Wortlos deutete sie mit dem Kopf hinter sich zum Tisch, wo noch die Kaffeekanne stand. Mit finsterem Gesicht nahm sich Isabelle einen Trinkbecher aus dem Hängeschrank, schob einen Stuhl beiseite, goß sich im Stehen Kaffee ein und setzte sich dann auf den Tisch.
«Is was?» fragte Gretel und zerknüllte die labskausfarbene Papiertüte mit der blauen Aufschrift «Eßt mehr Obst, und ihr bleibt gesund!»
«Was soll denn sein?»
Gretel drehte sich um und sah ihren Schützling an: «Na, keinen Gutenmorgenkuß, polterst hier rum, ich kenne dich doch. Und überhaupt», sie fuhr mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf und ab, so als habe sie eine Entdeckung gemacht. «Wo ist denn dein Jon? Noch drüben? Schläft er? Oder was?»
«Ach, Gretel ...» Isabelle hüpfte vom Tisch herunter, stellte den Kaffeebecher ab, kam zu Gretel und drückte ihr einen Schmatz auf die Wange. «Das ist es ja ...», sie lächelte, «... du olle Hellseherin immer!»
«Ist nicht gekommen!»
Isabelle setzte sich auf einen Stuhl und seufzte. «Genau!»
Gretel räumte weiter die Sachen weg, während sie schimpfte. Ein Kastenweizenbrot in den weißemaillierten Brotkasten, Zwiebeln in die braunlasierte Kruke auf der Fensterbank, ein Bund Mohrrüben und ein paar Kohlrabis in die Kumme, die in der Vorratskammer stand. Den geräucherten Speck und die abgehangenen, saftigen Beefsteaks in den Kühlschrank, eine Flasche Kräuteressig ins Gewürzbord; zwei Rollen Pergamentpapier in die Schublade. «So was passiert dann immer: Fix dabei, wenn sie was versprechen, die Herren der Schöpfung ... und wenn's nicht paßt ... pfff ... Luft raus, als wär nix gewesen. Soll ich dir ein Brötchen schmieren?»
Isabelle schüttelte den Kopf.
«Hast du ihn denn wenigstens angerufen?»
«Es nimmt keiner ab.»
«Es nimmt keiner ab?»
«Nein. Gestern hab ich's bis zehn Uhr abends probiert, heute morgen gleich ...»
«Das ist allerdings komisch.»
«Vielleicht ist ja auch was passiert, Gretel!»
«Warum ißt du nicht wenigstens ein Stück Obst? Das ist überhaupt nicht gesund und so 'ne moderne Marotte, daß ihr jungen Frauen morgens so aus dem Haus geht, das haben wir früher nicht gemacht! Iß was, sonst klappst du nachher noch zusammen.» Gretel ging auf und ab, hin und her, wickelte aus, legte weg, sortierte ein. «Dann mußt du eben hinfahren. Ich habe immer gesagt: Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt ...»
Nun mußte Isabelle doch lachen. «Kommt der Berg zum Propheten. Ich weiß. Aber das geht heute sowieso nicht, ich muß doch nachmittags arbeiten. Ein Fotograf macht Bilder von unseren ...», sie sagte unseren, « . . . Klamotten, Patrizia und ich müssen helfen.»
«Ja, dann.»
Isabelle stand wieder auf, trank den Rest Kaffee aus, stellte den Becher in das Spülbecken, gab Gretel einen Kuß und ging zur Tür. «Grüß Mami. Ich bin gegen sechs zurück. Falls Jon auftaucht, sagt ihm das bitte.»
Gretel lächelte ihr ermutigend zu. «Wird sich schon alles aufklären. Wenn wir bis heute abend nix hören, rufe ich Fritz an, vielleicht weiß der was, ja?»
«Danke.» Isabelle winkte zärtlich und ging.
Sie machte sich auf den Weg. Mit dem Bus, der Stadtbahn, den Rest des Weges, vom Dammtorbahnhof hinunter zur Alster und bis zum Modesalon zu Fuß. Sie ging dabei über die Moorweide, eine vis-à-vis dem Bahnhofsgebäude gelegene Parkanlage. An deren Eingang, einem Kiesweg zwischen Büschen und Kastanienbäumen, hatte die Stadt nach gutem englischem Vorbild eine kleine Rednertribüne aufgestellt, mehr ein Podest aus Holz. Ein Schild wies darauf hin, daß man hier, in der Speakers corner, bis achtzehn Uhr abends «frank und frei» seine Meinung äußern dürfe. Ein Mann mittleren Alters mit runder Nickelbrille und schlunziger Kleidung wetterte gegen Ausbeutung und den Vietnamkrieg. Eine ältere Dame mit einem Dackel an der Leine und zwei Zimmerleute mit großen schwarzen Hüten, Stöcken und weitgeschnittenen Kordhosen, die für einen Moment ihre Wanderschaft unterbrochen hatten, spendeten Beifall. Davon angelockt, kamen einige Passanten heran. Auch Isabelle, die noch etwas Zeit hatte, blieb neugierig stehen. Während sie zuhörte, bemerkte sie, daß sie von drei jungen Männern, die
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