Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
erreichten. Auf der Fahrt erzählte Remo eine Menge über sich. Isabelle erfuhr, daß er Ende Zwanzig war, seine Eltern geschieden waren, seine Mutter in Zürich lebte, sein Vater, von Beruf Schauspieler, ständig auf Tournee war und kaum noch Kontakt zu seiner Familie hatte.
Er parkte unter einer riesigen Platane, und die beiden stiegen aus, um am Elbstrand spazierenzugehen. Remo fuhr fort, aus seinem Leben zu berichten. Davon, daß er ein Einzelgänger sei, der hinter seinem forschen Auftreten und seiner Fröhlichkeit Einsamkeit verbarg. Er sprach auch über seine Zukunftspläne: Er wolle einer der ganz Großen seiner Zunft werden, der deutsche Modefotograf. Über kurz oder lang würde er seinen Assistentenjob hinschmeißen, München den Rücken kehren und in Paris zu einer Wahnsinnskarriere starten. Er könne jetzt schon mehr als der Fotograf, bei dem er arbeite. Er schwärmte so anschaulich von Paris, daß Isabelle die Stadt vor sich sehen und Remos Leidenschaft mitempfinden konnte.
Schon nach ein paar Stunden fühlte sie sich ihm so nah, daß sie Remo auf seine Fragen offen antwortete, jedoch nicht offen genug, um ihm zu sagen, daß sie einen Freund habe. Sie bezeichnete Jon als einen Freund, nicht als ihren Freund, wobei sie sich des Unterschieds vollständig bewußt war. Sie fühlte sich in diesem Augenblick wie eine Verräterin, verdrängte dieses Gefühl aber sofort wieder. Remos frische, vorwärtsstrebende Art, seine Direktheit, seine Lässigkeit und Weltgewandtheit faszinierten sie. Er war ganz anders als Jon. Er gefiel ihr. Und sie wollte Remo gefallen. Sie wollte den Zauber dieses Spaziergangs nicht zerstören.
Obwohl sie das Gespräch von Jon lenken wollte («doch nicht dein Freund, oder?»), konnte sie nicht umhin, Remo von dem Anruf zu erzählen, von Hanna Rix' Selbstmord. Sie mußte einfach darüber reden. Irgendwann setzten sie sich auf eine Bank. Niemand schien am Fuße dieses Waldhanges spazierenzugehen, sie waren ganz allein. Remo hörte Isabelle zu und sah sie dabei unverwandt an. Plötzlich brach sie in Tränen aus. Sie konnte nicht anders.
Am liebsten hätte sie sich an seine Brust geworfen. Doch sie tat es nicht. Und auch er nahm weder ihre Hand, noch nahm er sie in den Arm. Er saß einfach so da, schaute sie an, sagte mild und weich ein paar tröstende Worte und ließ sie ungehemmt weinen. Dann zog er ein frisches Taschentuch aus Schweizer Batist aus der Hosentasche und reichte es ihr. Sie schneuzte sich. «Entschuldigung!»
Vor ihnen lagen der Elbstrand und der Fluß. Kein Schiff, keine Möwe, kein Geräusch. Nur der Wind, der durch die herbstlich bunten Bäume strich.
«Kommt es dir auch so vor», fragte Remo, «als wären wir beide auf einmal ganz allein auf der Welt? Nein, wirklich: Stell dir vor nur du und ich, sonst niemand!»
Isabelle stand auf.
«Geht's besser?»
«Ja.»
Er hüpfte auf die Bank, balancierte mit ausgebreiteten Armen über das Geländer. «Du bist ein Clown», sagte Isabelle, «komm, wir gehen zurück.»
«Einer, der dich zum Lachen bringen will!»
«Ich will jetzt nicht mehr darüber reden.» Sie ging ein paar Schritte, blieb dann stehen und drehte sich nach ihm um.
Er kam zu ihr gerannt. «Die Sache ist nämlich so», erklärte er, «ich bin ziemlich durcheinander, weißt du? Ich habe mich nämlich ein bißchen verliebt.»
«Aha?»
Er hatte die Angewohnheit zu blinzeln, wenn er etwas Nettes sagte. Isabelle fand das unwiderstehlich charmant. «Ich habe dich gestern mittag gesehen, als du in den Laden reinkamst, und, na ja: Du bist die schönste und eigenwilligste Frau, der ich je begegnet bin.»
«Hör auf! Eigenwillig. Woher willst du das denn wissen? Schwätzer!»
Er beugte sich ein wenig vor und blinzelte wieder, während er weitersprach: «Ich habe beschlossen, daß wir ein Paar werden. Ich weiß, daß wir zusammengehören. Meine Tante hat mir erzählt, was für ein Talent du bist. Wir werden eine große gemeinsame Zukunft haben.»
Sie tippte ihm auf die Brust. «Hör zu, damit das gleich klar ist, von Anfang an: kein Bedarf bei mir. Ich will mich nicht binden, ich will meine Freiheit genießen, die jetzt nämlich gerade erst anfängt. Und ich will bestimmt keinen Fotografen, der heute in Hamburg ist und morgen in München und übermorgen in Paris.» Energisch wandte sie sich um und ging weiter. «Leider nein. Geht nicht mit mir.»
Während der Rückfahrt sprachen sie kaum ein Wort. Isabelle trieb in einem Strudel von Gefühlen. Sie dachte
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