Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
mein Wesen. Außerdem: Mitleid ist ein schlechter Ratgeber, sagt Gretel immer, und sie hat recht. Verzeih mir. Verzeih mir.
Doch es war nicht nur Jon, den Isabelle mit ihrer Affäre unglücklich machte, sie brachte auch noch alle anderen Menschen um sich herum durcheinander. Remo hatte ihr, nachdem er für zwei Tage in München gewesen war und dort seinen Job an den Nagel gehängt hatte, kurzerhand seinen Plan für eine gemeinsame Zukunft unterbreitet: Auch sie sollte alles hinschmeißen und mit ihm nach Paris gehen. Die Redaktion einer Modezeitschrift hatte ihm das Angebot gemacht, dort als Fotograf zu arbeiten. Das war eine einmalige Chance für ihn, und es stand fest, daß er es machen würde – er hatte bereits zugesagt. Doch er wollte Isabelle mitnehmen.
Die Französische Revolution war nichts gegen den Aufstand, den es gab, als Isabelle ein paar Tage darauf ihre Mutter darüber informierte. Ida wollte Remo wegen Verführung Minderjähriger verklagen, sie schimpfte, drohte, bettelte, flehte. Es nützte nichts. Isabelles Wille war wieder einmal stärker. Sie ließ sich nichts mehr sagen. Sogar mit Gretel bekam sie deswegen Krach. Wenigstens ihre Lehre solle sie zu Ende bringen und bis zur Volljährigkeit warten. Gretel arbeitete mit Verständnis und Vernunft, doch auch sie erntete nur Ablehnung. Puppe Mandel reagierte schockiert. Sie beschimpfte Isabelle als undankbar, mußte aber trotzdem die vorzeitige Kündigung des Lehrvertrags akzeptieren. Selbst Alma redete Isabelle ins Gewissen. Sie wollte sich nicht in das junge Glück einmischen und sich auch ihrem Neffen nicht in den Weg stellen, doch immerhin, so erklärte sie, kenne sie Remo länger und besser, als Isabelle es täte. Er sei überschwenglich, waghalsig, flatterhaft. Doch je mehr sich alle gegen Isabelles Wunsch stellten, mit ihm nach Paris zu gehen, desto mehr hatte Isabelle das Gefühl, genau das Richtige zu tun.
«Wovon willst du leben?» fragte ihre Mutter eines Abends in einem Ausbruch von Verzweiflung.
«Ich komme durch, wir kommen gemeinsam durch», antwortete Isabelle nur knapp und dachte dabei an ihr Sparbuch, auf dem sie heimlich im Laufe der Jahre mehr als zweitausend Mark angehäuft hatte. «Ich kann Remo beim Fotografieren assistieren. Und außerdem: Ich finde schon Arbeit.»
Schließlich mischte sich Carl Trakenberg ein. Er bestellte Isabelle nach Feierabend in sein Kontorhaus in der Speicherstadt. Sie wußte, was sie erwartete, und hatte sich für das Gespräch gewappnet. Trotz aller Dankbarkeit und Sympathie Carl Trakenberg gegenüber war sie fest entschlossen, sich nicht umstimmen zu lassen. Sie war jetzt neunzehn Jahre alt, und dies war der richtige Zeitpunkt, endlich selbst über ihr Leben zu bestimmen.
Isabelle hatte sich angezogen, als wollte sie ausgehen. Der kurze Tweedrock und die dazu passende lange Jacke standen ihr gut und gaben ihrer stürmischen Erscheinung etwas Gebändigtes, fast Biederes. Sie saß auf einem der Stühle, die im Chefsekretariat gegenüber dem Schreibtisch von Frau Gehrmann für die Besucher an der Wand aufgestellt waren. Es hatte etwas vom Wartezimmer eines Arztes, oder besser Anwalts. Kaum zwei Minuten später ging die Tür auf, und Carl trat heraus, gab seiner Sekretärin eine Unterschriftenmappe und winkte Isabelle heran. Er schüttelte ihr die Hand, zog sie dabei zu sich in sein Büro, schloß die Tür und fing sofort an zu reden, während er auf seinen Chefsessel hinter dem Schreibtisch zuging.
«Laß uns nicht lange um den heißen Brei herumreden», erklärte er und nahm Platz. «Du willst weg aus Hamburg, weg aus dem Salon, deine Lehre abbrechen. Setz dich, du mußt hier nicht rumstehen wie bestellt und nicht abgeholt.»
Es klingelte. Carl hob den Hörer ab. «Ja», sagte er knapp, «kommen Sie ruhig rein.» Eine Minute später klopfte es. Ehe Carl ja gesagt hatte, ging die Tür auf.
«Peter! Kennt ihr euch?»
Isabelle drehte sich halb um. «Nein.»
«Ja. Sie sind Isabelle Corthen.» Er stellte sich vor. «Peter Ansaldi.»
Isabelle guckte erstaunt. Sie konnte sich nicht an ihn erinnern.
«Wir sind uns mal vor ein paar Jahren, da war ich hier noch Lehrling, auf der Treppe begegnet.» Er wischte sich die rechte Hand an seinem Jackett ab und streckte sie Isabelle entgegen. «Abend!» Sie schüttelten sich die Hände. Er trat hinter den Schreibtisch seines Chefs und legte ihm ein Schriftstück auf den Tisch, das Carl aufmerksam las.
Isabelle beobachtete den jungen Mann. Sein Blick wirkte
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