Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
gehetzt, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er hatte krause Haare, eine markante Nase und zwei große Schneidezähne mit einer Lücke dazwischen. Sein billiger Sakko paßte nicht zur Hose, die Polyesterkrawatte, wildgemustert, grellfarben und breit, ließ sein Gesicht noch blasser erscheinen. Das Hemd war am Kragen mindestens zwei Nummern zu groß. Trotzdem schien es ihn einzuengen. Unablässig zog er am dicken Krawattenknoten herum und drehte dabei seinen Hals wie eine Gans, die aufgeregt auf den Futtertrog zuläuft.
Carl nickte und gab seinem Mitarbeiter das Papier zurück. «Gut. Machen wir. Schicken Sie gleich noch ein Fernschreiben raus. Und informieren Sie mich, wenn es geklappt hat.»
Peter Ansaldi ging wieder, ohne sich zu verabschieden, er war völlig in Gedanken.
«Er war bis letztes Jahr mein Lehrling», erklärte Carl, «ich habe ihn vor Jahren an einer Tankstelle aufgegabelt, jetzt ist er mein Assistent, und ich muß sagen: ein tüchtiger mit blendenden Ideen. Siehst du, und damit sind wir wieder beim Thema: Ich brauche gar nicht soviel zu sagen, das haben schon die anderen getan, nicht wahr?»
«Ja.»
«Und du willst auch bei deiner Meinung bleiben?»
Sie nickte heftig.
«Ich habe dich für intelligenter gehalten, Isabelle. Hör zu: Ich war auch schon verknallt, und ich habe mich deswegen auch schon in die unmöglichsten Situationen gestürzt, aber darum geht es nicht. Wenn du diesen ... diesen ...»
«Remo Winter.»
«Ja. Wenn du ihn liebst und mit ihm nach Paris gehen willst: prima. Deine Sache. Aber nicht jetzt. Erst machst du deine Ausbildung fertig. Dann sehen wir weiter. Merk dir das mal ruhig für dein Leben: Was man angefangen hat, das muß man zu Ende bringen.»
Isabelle war überrascht, mit welcher Bestimmtheit er ihr vortrug, was sie zu tun und zu lassen habe. Sie gab ein paar Widerworte. Doch er ließ nicht locker, und dann sprach er etwas an, was sie zum Nachdenken brachte: «Wenn du es tätest – ich meine, ich habe immer viel davon gehalten, daß sich jeder Mensch frei entfalten kann –, wenn du also deinen Dickkopf, jawohl Dickkopf! durchsetzen würdest, dann bliebe ein Haufen enttäuschter Menschen zurück. Hast du dir das gut überlegt? Deine Mutter. Unsere gute Burmönken, die ja beinahe so was wie eine ältere Freundin von dir ist, nicht wahr? Frau Mandel. Sie hat dir, soweit ich weiß, gerade vor kurzem erst angeboten, ihre rechte Hand zu werden. Dumm übrigens, so etwas auszuschlagen, besonders bei deiner Begabung für diese Branche.» Er beugte sich vor. «Und ich.» Carl sah ihr tief in die Augen und sagte eine Weile nichts. Sie konnte seinem Blick nicht standhalten und senkte den Kopf. «Seit damals, als du Vivien das Leben gerettet hast, als du mit blutenden Füßen in unserer Küche gesessen hast, ohne ein Wort zu sagen, zu weinen, zu jammern, seit damals weiß ich, wie stark du bist. Und wie gern ich dich habe. Ein bißchen wie ein Vater.»
Isabelle errötete.
«Du bist für mich auch so etwas wie eine Tochter, Isabelle, eine Tochter, wie Vivien sie nie sein konnte. Nie sein wird. Du hast keinen Vater mehr, und ich habe immer gespürt, wie sehr du in mir einen gesucht und in gewisser Weise auch gefunden hast. Wenn du jetzt nach Paris gehst, baust du dein Leben auf einem Berg enttäuschter Hoffnungen auf. Das wird nicht gutgehen, glaube es mir. Ich bin älter als du.» Er zog ein kariertes Taschentuch heraus und schneuzte sich kurz und kräftig. «Das ist eigentlich alles, was ich dazu sagen kann.»
Ein letztes Mal hob Isabelle an, zu widersprechen: «Aber ich ...» Carl unterbrach sie: «Enttäusche meine Liebe nicht. Ich habe noch viel vor mit dir.»
Zweiter Teil
Paris und die Welt
Kapitel 11
Christin Laroche hetzte die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal. Vor Remo Winters Appartement blieb sie atemlos stehen, klemmte ihr Baguette unter den Arm, ging in die Knie und nahm unter der Fußmatte den Wohnungsschlüssel hervor. Sie klopfte mit dem Brot gegen die Tür, deren rostigrote Farbe dabei noch weiter abplatzte, und schloß hastig auf. Es war ein allen Freunden wohlvertrauter Brauch – selbst wenn jemand zu Hause und die Tür von innen abgeschlossen war: stets lag ein Zweitschlüssel unter der Matte.
«Belle», rief Christin laut, «c'est moi!» Mit einem Fußtritt beförderte sie die Tür krachend ins Schloß zurück. «Aufstehen! Es ist gleich zehn!»
Sie sah sich um. Ein großer, karger Raum, Deckenbalken, gekalkte Wände, schmutzige
Weitere Kostenlose Bücher