Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Westenanzug, mit einem schwarzen, offenen Polyesterhemd, dessen Kragen er dekorativ über das Jackenrevers gelegt hatte, und mit seinen geölten dunklen Haaren aussah, als wollte er John Travolta Konkurrenz machen. Beide nickten Isabelle und Jon freundlich zu und schoben sich, während sie unablässig und seltsam beschämt ständig «pardon, pardon» sagten, an ihnen vorbei. Isabelle hörte, wie die Frau, während sie mit wippendem Kleidchen klackernd die Stiege hinabstöckelte, ihrem Begleiter leise erklärte, daß dies die seltsame Deutsche sei, von der man nicht wisse, wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdiene.
Isabelle faßte sich. «Entschuldige, Jon, entschuldige.» Sie nahm den Schlüssel unter der Fußmatte hervor, schloß die Tür auf, machte Licht und bat ihn herein.
Jon erschrak, nachdem er die Tür geschlossen und sich umgesehen hatte. Der Raum war fast leer.
«Ich wohne ziemlich spartanisch.» Isabelle warf ihren nassen Jeansmantel auf das Sofa, außer ihrem Bett das einzige Möbelstück, das Remo ihr gelassen hatte. Sie ging in die Küche. «Ich fürchte, ich kann dir nicht mal was anbieten.»
Jon folgte ihr. Sie öffnete den Kühlschrank. Er war leer.
«Macht doch nichts», erklärte Jon nicht sehr überzeugend. «Ich habe unten im Auto noch ein bißchen Proviant, ich hole ihn rauf, nicht viel, etwas Obst, ein, zwei Brote und ein paar Süßigkeiten, die mir ...», er wollte sagen: «Die mir Hellen eingepackt hat», aber er traute sich nicht, in diesem Moment darüber zu reden.
«Ah», raunte Isabelle und zog aus einem Küchenregal eine Flasche Rotwein, «das haben wir wenigstens noch.» Sie lächelte Jon an, konnte nicht fassen, daß er hier war. Hier in Paris. In diesem Moment ihres Lebens. «Ach, Jon ...» Weiter kam sie nicht. Ihr wurde erneut schwindelig. Sie setzte sich auf die Fensterbank, denn sie hatte nicht einmal mehr Stühle in der Küche.
«Bin gleich wieder da.» Jon verschwand.
Eilig erhob sich Isabelle. Ich muß entsetzlich aussehen, dachte sie und raste ins Badezimmer. Rasch wusch sie sich Hände und Gesicht, rubbelte die Haare trocken und kämmte sie. Dann ging sie in ihre Schlafkammer, um sich etwas Frisches anzuziehen. Noch ehe sie fertig war, kam Jon zurück. «So ein Wetter in Paris», rief er durch die geöffnete Tür. «Ich hab's mir anders vorgestellt.»
«Ja, es kommt immer anders, als man denkt, nicht wahr?» rief Isabelle zurück. «Könntest du den Wasserkessel aufsetzen? Ich brauche unbedingt einen heißen Tee!»
«Schon gemacht.»
Während sie in ihre Jeans schlüpfte und einen dicken Pullover überzog, hörte sie Jon in der Küche poltern. Es war ein köstliches Gefühl, es war wohlvertraut, es war das Gretel-Burmönken-ich-binwieder-zu-Hause-Gefühl, und für eine Sekunde war Isabelle glücklich. Jon war da! Jon! Der geliebte Freund!
Sie kam ins Wohnzimmer. Er stand mitten im Raum und grinste, die Hände in den Taschen. «So», sagte sie, «jetzt kann ich dir wenigstens richtig guten Tag sagen!» Sie hatte sich vorher mit einem Rest von «Eau Sauvage» von Christian Dior eingesprüht, einem leichten, zitronig-frischen Herrenduft, den sie seit Jahren trug. Sie kam auf Jon zu, umarmte ihn und gab ihm einen Kuß auf die Wange. «Ich bin noch ganz platt!»
Ehe er etwas antworten konnte, heulte der Wasserkessel auf, und sie rannten in die Küche. Gemeinsam bereiteten sie sich von den kärglichen Resten ein Abendessen zu und stellten es auf ein Tablett. Jon arrangierte die Brote, die noch übrig waren, auf einem handbemalten provenzalischen Käseteller, legte ein Stück Salatgurke dazu, daneben die Reste einer Tafel Schokolade, die er in kleine Stücke zerbrach. Isabelle goß den Tee auf und nahm zwei Tassen aus dem Schrank. Jon öffnete die Weinflasche. Als Isabelle noch ein Glas mit Cornichons entdeckte, schraubte Jon es auf und legte die Gürkchen in eine kleine Schale.
«Nicht viel, aber besser als nix», meinte Isabelle, als beide besahen, was auf dem Tablett stand. Dann gingen sie ins Wohnzimmer zurück. Isabelle mußte niesen.
«Kalt ist es bei dir, Isa», sagte Jon, «habt ihr keine Heizung?» Sie sah ihn an.
«Ist was?» wollte er wissen. «Hab ich was Falsches gefragt?»
Sie schüttelte den Kopf. «Isa ... hat so lange keiner mehr zu mir gesagt. So freundlich.» Sie ließ den Kopf sinken.
Er kam zu ihr, schob mit seinem Zeigefinger, den er unter ihr Kinn gelegt hatte, ihren Kopf wieder hoch und sah sie an.
«Ich lebe allein, Jon. Ich bin allein.
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