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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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ins Gras. Huy war zu müde, um viel zu essen, und statt sich an den lebhaften Ringkämpfen oder dem lauten, neckischen Geplänkel zu beteiligen, legte er sich auf sein Bett. Thutmosis hatte sich für Stockball entschieden, und Huy konnte seine hohe und gelegentlich empörte Stimme – aufgrund seiner geringen Größe war er den anderen gegenüber im Nachteil – in dem Gewirr ausmachen. Pabast war spät dran mit den Lampen, und so starrte Huy, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, an die dunkler werdende Decke und versuchte, an nichts zu denken.
    Der Diener und Thutmosis trafen zusammen in der Kammer ein. Thutmosis blutete aus einer langen Wunde an der Wade. »Ich bin zwischen Mensch und Ball geraten«, erklärte er, während Pabast die Lampe auf den Tisch stellte, einen Gutenachtgruß grunzte und ging. »Wenn wir aus dem Badehaus zurück sind, tue ich Honig drauf. Geht es dir gut, Huy?«
    »Ich weiß nicht.« Huy zwang sich, vom Bett aufzustehen. »Wir sollten zum Waschen gehen, doch am liebsten würde ich bloß unter das Laken kriechen. Ich bin müde und habe Halsschmerzen.«
    »Schmerzen?« Thutmosis kam näher und sah Huys Gesicht an. »Du bist ziemlich rot.« Er legte die Hand auf Huys Stirn und zog sie erschrocken wieder zurück. »Götter! Du bist ganz heiß, Huy! Wir sollten den Arzt holen lassen.«
    »Nein. Ich bin bloß müde«, wiederholte Huy. »Morgen früh geht es mir bestimmt schon besser.« In Wahrheit fühlte sich sein Hals geschwollen an, und sein Kopf hatte zu pochen begonnen. Zu viele Worte hineingestopft, dachte er nicht ohne Humor. Alle durcheinandergeworfen, und jetzt klopfen sie gegen meinen Schädel.
    Das warme Wasser und das parfümierte Öl belebten ihn dann aber so weit, dass er Thutmosis berichten konnte, was er in der ersten Rolle des Buches gelesen hatte. Das Wort ›gelernt‹ vermied er, denn er hatte nicht das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Er saß mit geschlossenen Augen da, die Worte flossen durch seinen schmerzenden Hals und über seine Zunge und erfüllten das Halbdunkel des gemütlichen Raums mit einer Altehrwürdigkeit, die er zuvor nie verspürt hatte.
    »Das klingt wie eine dieser unendlichen Litaneien, die die Priester an den Festtagen singen«, sagte Thutmosis, und sein verzerrter Schatten auf der Wand bewegte sich mit ihm. »Grundlegende Wahrheiten, umgeben von viel Volldröhnendem. Was, glaubst du, ist die Erste Duat? Ich kenne nur eine.«
    Huy zuckte mit den Achseln. Die Geste verstärkte den Schmerz hinter seinen Augen. »Vielleicht wird das weiter unten in dem Text erklärt. Ich weiß es nicht. Und auch nicht, warum Atum Hügel genannt werden sollte. Wie kann er vor sich selbst da sein, Thutmosis?«
    Thutmosis’ Augen wurden groß. »Götter, haben dir deine Eltern denn gar nichts beigebracht, Huy? Das Erste, was ein frommes Kind lernt, ist: Bevor die Welt geschaffen wurde, gab es nur den Nun, das große Meer der Dunkelheit, und dann ließ Atum aus der Dunkelheit einen Hügel entstehen, und von dem kam alles.«
    »Meine Eltern haben sich nie um so etwas gekümmert«, sagte Huy langsam. »Sie waren es zufrieden, unter der Maat zu leben, und überließen den Kontakt mit den Göttern den Priestern. Ich weiß noch, wie entsetzt die Rechet war, als sie hörte, dass mein Vater nichts unternommen hat, um unser Haus vor bösen Einflüssen zu schützen.« Er brachte ein Lächeln zustande. »Jedenfalls ehe ich zu dem Kuriosum wurde, das ich jetzt bin. Thutmosis, warum soll Atum selbst Hügel genannt werden? Was bedeutet ›du wirst dadurch zu deinem Namen‹?«
    Nun war es Thutmosis, der mit den Schultern zuckte. »Keine Ahnung. Liest du morgen weiter?«
    »Ich soll. Aber es macht mich so müde, dass ich den Oberpriester bitten will, dass ich es nur alle drei Tage tun muss. Hast du außer Bogenschießen jetzt auch Wagenlenken?« Er wechselte bewusst das Thema. Thots Worte laut zu wiederholen, hatte ihm eine merkwürdige Erleichterung verschafft. Zum einen enthielten die rätselhaften Verse einen Rhythmus, der nur auf diese Weise deutlich wurde, zum anderen hatte Thutmosis ihm eine wichtige Erklärung gegeben. Trotzdem war die Aufgabe, die man ihm aufgebürdet hatte, so beladen mit Furcht, Verwirrung, dem beängstigenden Gefühl, vom normalen Alltag abgeschnitten zu sein, und einer ebenso beunruhigenden Faszination, dass sie ihn vollkommen erschöpfte. Thutmosis Stimme schien von weit her zu kommen, als er von seinem Unterricht erzählte.
    Thutmosis schwieg und gähnte.

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