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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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führe. Zuerst einmal musst du lernen, das Gleichgewicht zu halten. Nach dem Unterricht bekommst du gezeigt, wie man das Pferd wäscht, es striegelt, auf Verletzungen untersucht und seine Hufe prüft. Anschließend fütterst du ihn eigenhändig, damit er lernt, dir zu vertrauen. Ein guter Wagenlenker kümmert sich um seine Pferde ebenso sehr wie um sein Zaumzeug und um seine Waffen. Komm mit zu den Wagen.«
    Er ging in den langen, vollgestopften Gang. Fauler Weißer Stern drehte sich um und stupste Huy an, als der die Tür schließen wollte. »Ich mag dich«, flüsterte Huy und folgte Mesta.
    Am Ende des Unterrichts gratulierte ihm Mesta. »Ich glaube, du wirst ein ausgezeichneter Wagenlenker, Huy. Vielleicht bist du eines Tages ebenso perfekt wie die Männer, die die goldenen Wagen des Königs mit seinen edlen Pferden fahren. Nun musst du den Wagen und das Pferd waschen und seine Hufe untersuchen. Dann kannst du gehen.« Huy bedankte sich, verrichtete seine Aufgaben und schlich danach Richtung Tempelbezirk. Seine Knie schlotterten.
    Er wusch sich bedächtig und zögerte so den Moment, wo er sich vor der Tür des Oberpriesters einfinden musste, bewusst hinaus. Doch schließlich musste er seine nassen schwarzen Haare zurückbinden, seine Sandalen anziehen und, in sauberes weißes Leinen gekleidet, durch den langen Gang hinter dem Allerheiligsten gehen. Viele der Priester waren in ihren Quartieren und grüßten ihn freundlich, als er vorbeiging. Manche verbeugten sich, Huy verbeugte sich auch und fühlte sich dabei viel zu klein und dumm für solch eine Ehrerbietung der heiligen Gottesdiener. Allzu bald erreichte er die Doppeltür und hob zögernd die Hand, um anzuklopfen, doch Ramose hatte sie schon geöffnet.
    »Ah, da bist du ja! Ich habe schon gedacht, du hättest dich verletzt. Oder wärst zu einem Spaziergang am Fluss aufgebrochen«, sagte er scharfsinnig. »Warte einen Moment.« Er verschwand kurz und kehrte mit einem schlichten kleinen Zedernholzkasten unter dem Arm zurück. Huy folgte ihm mit sinkendem Herzen durch den Gang. Seit er den sonnigen Sportplatz verlassen hatte, war seine Furcht gewachsen, etwas zu lesen, was er nicht wissen wollte, das Bewusstsein, dass ihn die Götter (aber waren das viele Götter oder nur viele Erscheinungsformen eines einzigen?) jetzt genau beobachteten. Er spürte sie als ungutes Gefühl zwischen den Schulterblättern – an der Stelle, wo Dämonen gern zuschlagen – und als kaum merkliche Störung seiner Blutzirkulation. Als der Oberpriester vor der verriegelten Tür zum Hof mit dem Isched-Baum ankam, musste Huy all seine Willenskraft aufbieten, um nicht davonzurennen. Mit klopfendem Herzen folge er Ramose hinein.
    Es hatte sich in den acht Jahren, seit er sich vom Palmenhain aus hereingeschlichen hatte, nichts verändert. Abgesehen vom Schatten der Westmauer lag der offene Platz in der Sonne. Der Baum streckte seine dicht belaubten Zweige in alle Richtungen. In der Luft lag die Atmosphäre tiefen Friedens, doch Huy, der die Mischung von Schönheit und Verfall roch, an die er sich so gut erinnerte, spürte das kaum.
    Ramose stellte den Kasten ab und warf sich ehrfürchtig dreimal vor dem Baum nieder. Huy tat es ihm nach. Dann deutete der Oberpriester auf ein großes Kissen zu seinen Füßen. Huy ließ sich in einem Anfall von Schwäche darauf nieder. Er hatte das Gefühl, neben sich zu stehen, blickte zur Seite und entdeckte die Hyäne. Er befand sich an derselben Stelle wie Imhotep damals. Ramose ließ sich neben ihm nieder.
    »Das Buch ist auf neun Papyrusrollen geschrieben. Wie ich dir gesagt habe, befinden sie sich hier und im Thot-Tempel von Chmunu. Jede Rolle steckt in einer Lederhülse. Geh sehr sorgfältig damit um, Huy, denn sie sind von unschätzbarem Wert.« Er öffnete den Zedernkasten und holte die Rollen heraus. Das weiße Leder war so weich und genarbt, dass sie bei der geringsten Berührung zu zerfallen drohten. »Die Nähte sind intakt«, bemerkte Ramose abwesend, »doch vielleicht sollte ich die Priester anweisen, neue Hüllen zu fertigen. Dafür brauchen sie die Haut eines weißen Stiers. Wie du siehst, sind die Hülsen nummeriert. Vielleicht hat das Thot selbst getan, ich weiß es nicht. Und vielleicht ist es auch Thot, der dafür sorgt, dass das Leder nicht verrottet und die Nähte halten. Das Buch hat fünf Teile. Hier bewahren wir den ersten, dritten und fünften Teil auf. Jetzt gebe ich dir nur den ersten Teil. Wenn du ihn gelesen und verstanden hast,

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