Der Seher des Pharao
ihr Haar los. Es fiel in einer Parfümwolke über ihren Rücken. Huy hielt ihr die Glasblumen hin. Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Lust, meine Dienerin kommen zu lassen. Du bindest sie mir doch sicher ins Haar, nicht wahr, Huy?«
»Nein, das tut er gewiss nicht!« Das war Nacht. »Viel Wein zu trinken, ist angenehm, Anuket, aber wenn der Wein dazu führt, dass du dich ungehörig benimmst, bekommst du keinen Schluck mehr. Huy, entschuldige bitte die schlechten Manieren meiner Tochter.«
Huy, der mit der beunruhigenden Vorstellung kämpfte, die betrunkene und ungebärdige Anuket könnte sich fest im Griff der heutigen Erscheinung der uralten Wassergöttin befinden, wurde durch die Rückkehr des Haushofmeisters einer Antwort enthoben.
Nascha erhob sich leicht schwankend. »Ich werde sie dir geben«, sagte sie mit schwerer Stimme. »Als Erstes das von Vater: ein wirklich schöner, mit polierten Türkisen besetzter Ledergürtel. Und schau, Huy! Hier ist eine Schlaufe für den Dolch und hier eine für eine kleine Tasche.«
Zum Zusammenbinden war der Gürtel an beiden Enden geflochten. Huy nahm ihn und strich mit den Daumen über die glatten, perfekt zueinander passenden Steine. »Das ist ein großartiges Geschenk, Herr. Danke!«
»Der grüne Türkis steht für Gesundheit und Vitalität, lieber Huy«, antwortete Nacht. »Ich mag dich sehr und wünsche dir viele Jahre von beidem.«
Nascha stützte sich mit einer Hand auf Huys Kopf ab, um die Balance zu halten, und legte einen Stapel Leinen in seinen Schoß. »Vier Schurze von mir«, verkündete sie. »Leinen zwölften Grades, mit Gold-oder Silberfaden gesäumt. Ja, sie haben mich eine Menge gekostet, rupf sie also nicht heraus. Ich liebe dich, mein Beinahe-Bruder.«
Huy grinste zu ihr hinauf. »Ich liebe dich auch, Nascha, trotz all der blauen Flecken, die du mir verpasst hast. Danke.«
»Ich bin selbst in die Straße der Lederarbeiter gegangen«, unterbrach Anuket laut und, wie Huy fand, ein wenig schmollend. »Ich habe darauf bestanden, dabei zu sein, als der Handwerker dein Geschenk angefertigt hat, sodass die Stiche zierlich und sauber sind. Nascha, gib ihm die Handschuhe.« Nascha hielt sie ihm hin. Sie waren aus weichem, sehr geschmeidigem Kalbsleder und hatten einen Handgelenkschutz, in den ein galoppierendes Pferd vor einem Wagen gestanzt war. »Damit kannst du deine Hände beim Wagenlenken schützen«, erklärte Anuket überflüssigerweise. »Ich weiß, dass du keine hast und die Priester nicht um welche bitten würdest.«
Huy hatte sein ungutes Gefühl vergessen. Er beugte sich herüber und küsste sie auf die heiße Wange. »Danke, meine Freundin«, sagte er bewegt. »Schau! Sie passen mir wie angegossen!« Er hatte die Handschuhe angezogen und hielt sie ihr hin, aber sie wich unvermittelt zurück.
»Natürlich passen sie«, sagte sie, ohne jemanden anzusehen.
Huy bemerkte, wie Thutmosis die Achseln zuckte und die Augen verdrehte. »Und das letzte, Nascha«, sagte er. »Gib es ihm bevor du umfällst.« Das Geschenk von Thutmosis war eine Schatulle voll mit kleinen Kästchen. Eines enthielt Weihrauchkörner, das seltenste und intensivste Räucherharz. Ein anderes war mit Mandeln vollgepackt. In einem dritten befanden sich mehrere Töpfchen mit Tusche. Außerdem waren da noch zwei Alabasterfläschchen mit schwarzem Kajalpulver, das mit Goldstaub vermischt war.
Huy lachte vor Begeisterung, stand auf und umarmte den Freund. »Das sind wunderbare Geschenke zu einem fünfzehnten Namensgebungstag. Ich bin euch allen so dankbar und liebe euch alle sehr.«
Nascha, die wieder auf dem Boden saß, schwenkte ihren Becher. »Ein Hoch auf Huy, der nun sein sechzehntes Lebensjahr beginnt. Gesundheit, langes Leben und Wohlstand!« Nacht und Thutmosis tranken mit ihr. Anuket war eingeschlafen und lag mit zerzausten Haaren und weinbeflecktem Kleid auf den Kissen.
Nacht gähnte und stand auf. »Ich ziehe mich zurück. Nascha, lass Anuket in ihr Zimmer tragen und ins Bett bringen. Ich werde morgen früh mit ihr reden.« Huy verbeugte sich vor Nacht, und Nascha erhob sich und rief die Diener.
Thutmosis nahm Huy am Ellbogen. »Bist du müde, Huy? Nein? Dann lass uns im Garten spazieren gehen.«
Nach dem Geruch von Wachs, Parfüm und Schweiß erschien ihnen die Luft draußen frisch und kühl. Die Geräusche der Nilschwemme waren zu hören: das beständige Gurgeln des dahinfließenden Wassers und das Schwappen der Wellen gegen Nachts Anlegestufen hinter der
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