Der Seher des Pharao
mit Henna gefärbte Handfläche, die er auf Huys Schulter legte, trocken. »Morgen wird unser neuer König gekrönt«, sagte er. »Überall wird in den Tempeln gefeiert werden, auch hier. Möchtest du ein Bier, Huy? Oder Wasser?«
Huy schüttelte den Kopf. »Ich müsste mich in den Fluss stürzen, Meister, aber der Wasserstand ist zu niedrig. Das Badehaus muss reichen. Was weißt du über unseren neuen Herrscher?«
Ramose deutete auf einen Hocker, und Huy setzte sich. »Prinz Amenhotep ist der zweite dieses Namens auf dem Horus-Thron. Er ist zweiundzwanzig Jahre alt und auf dem Höhepunkt seiner Vitalität. Seine Fähigkeiten bei der Pferdedressur haben ihm die Aufsicht über die Ställe seines Vaters eingetragen, und als er siebzehn war, hat ihm Thutmosis die Leitung des Stützpunkts und der Werften der Kriegsflotte in Perunefer überantwortet. Er ist gut im Rudern und Jagen, sein Können mit Pfeil und Bogen ist einmalig.« Ramose lächelte über Huys unschlüssigen Ausdruck. »Er hat in den letzten zwei Jahren Thutmosis bei den Regierungsgeschäften unterstützt und die Staatskunst erlernt«, fügte er hinzu. »Wir können nur hoffen, dass er einen ebenso klugen Geist wie sein Vater besitzt. Die Zeit wird es weisen. Seine Mutter ist Königin Meret-Re-Hatschepsut, eine ziemlich dumme Frau. Aber Thutmosis hat seine Tutoren gut gewählt. Der Jugendfreund des Prinzen ist Kenamun, ein kluger junger Mann, der sicherlich einen positiven Einfluss auf unseren neuen Pharao hat.«
»Du weißt viel, Meister!«, rief Huy, und Ramose lachte.
»Es gehört zum Geschäft eines jeden Oberpriesters, so viel wie möglich über die Autoritäten in Erfahrung zu bringen, die über uns gesetzt sind«, erklärte er freimütig. »Der Lauf der Geschichte Ägyptens wurde mehrfach von den Dienern seiner Götter entscheidend beeinflusst – insbesondere vom Amun-Oberpriester in Weset. Er kann eine gewisse Macht auf die Entscheidungen des Horus-Throns ausüben. Doch jetzt geht es um etwas anderes«, wechselte er das Thema. »Wir müssen über deine Zukunft reden.« Er setzte sich auf einen Stuhl und schlug die Beine übereinander. »Ich möchte nicht, dass du ein zusätzliches Jahr in der Schule verbringst. Daher habe ich vereinbart, dass deine Ausbildung fortgesetzt wird, sodass du, wenn du in drei Monaten sechzehn wirst, hier eine Position als Tempelschreiber übernehmen kannst. Mit der Trauer um unseren geliebten König sind schon zu viele Wochen verloren gegangen.«
Huy schauderte. »Soll ich allein mit meinen Lehrern im Unterrichtssaal sitzen?«, brachte er heraus. »Und der Architekt kommt nur wegen mir?«
»Sicher. Du wirst auch den Unterricht in Militärtaktik, im Gebrauch der Waffen und im Wagenlenken fortsetzen.«
»Und anschließend willst du, dass ich als Schreiber hierbleibe?«
»Ich sehe, dass der Vorschlag dich nicht begeistert«, sagte Ramose gelassen. »Lass uns offen reden. Der Tempel hat deine Ausbildung übernommen, schon aus diesem Grund solltest du die Stelle in Erwägung ziehen. Aber ich bin nicht so armselig, an dieser Stelle eine Bezahlung einzufordern. Nein, Huy, ich habe etwas mit dir vor. In deinem Geist befindet sich das Buch Thot. Noch hast du es nicht verstanden, aber eines Tages wirst du das.« Er beugte sich vor und legte die juwelengeschmückten Finger zusammen. Für Huy, der zunehmend beunruhigt war, hatte die Geste etwas leicht Bedrohliches. »Du bist der Wiedergeborene«, fuhr Ramose fort. »Du hast die Gabe des Sehens, des Diagnostizierens und auch des Heilens, denke ich. Atum war gütig, dass er diese Dinge eine Weile in dir schlummern ließ. Als Schüler kannst du ihm nicht viel nützen. Doch bald bist du frei von den Zwängen des Unterrichts. Dann werden die Gaben erwachen. Und du brauchst meine Beratung, meine und die der Rechet. Ich möchte, dass du mein persönlicher Schreiber wirst. Du musst mehr über das heutige Ägypten erfahren, wenn du das von morgen beeinflussen sollst. Ich korrespondiere mit den Oberpriestern aller Tempel, mit Fürsten und Beamten, Militärführern und beiden Wesiren. Du wirst dazulernen, und gleichzeitig nimmt allmählich dein Ansehen als Seher zu.«
»Meister, was willst du damit sagen?«, entfuhr es Huy. »Du wirst, ob ich will oder nicht, mein Leben vollkommen bestimmen? Du schätzt, dass meine Gabe wieder kommt und willst auch sie kontrollieren? Wieso?«
»Weil du als ein Mann, der von den Toten zurückgekehrt und von Atum mit dieser Macht ausgestattet worden
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