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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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zwängen, die er selten trug, damit sie nicht abgewetzt wurden. Sie waren genauso schlicht wie die, die er täglich trug, aber sie sahen wenigstens neu aus. Er würde die Tunika mit Nachts letztjährigem Geschenk gürten, Anukets Ohrring anlegen – oder wäre es besser, überlegte er besorgt, wenn ich nichts von dem trage, was sie mir geschenkt haben, damit es nicht aussieht, als wäre ich seit Jahren notleidend, auch wenn das der Wahrheit entspricht? Soll ich ganz schlicht gehen, in einem einfachen Schurz und ohne Tunika, nur mit dem Sa auf der Brust und den Amuletten an meinen Fingern geschmückt? Und natürlich dem Frosch, der mein Haar zusammenhält.
    Er hob den Deckel der Truhe, seufzte und starrte hinein. Ich habe diesen Moment so lange herbeigesehnt. Es war ein Tagtraum, von dem ich gezehrt habe. Nun wird er Wirklichkeit, und ich bin unentschieden und ängstlich. Habe ich einen Palast ohne Fundament errichtet, Hoffnungen aufgetürmt, ohne tragende Säulen im Treibsand meines Begehrens zu verankern? Er schüttelte den Kopf, beugte sich herunter, zog Schurze und Hemden heraus und legte sie auf sein Bett. Darunter befanden sich die Kästchen, die seine Schätze enthielten – den Ohrring, sein Senet-Spiel, Thutmosis’ Schatulle vom letzten Jahr. Er nahm sie auch heraus. Ganz unten, wohin er seit Jahren nicht mehr gelangt war, lag das Zedernholzkästchen, das ihm sein Onkel Ker geschenkt hatte. Mit einem Gefühl des Losgelöstseins holte er es heraus und öffnete es. In einem der kleinen Fächer lag ein kleines Leinenbündel. Er setzte sich auf den Boden, lehnte sich gegen sein Bett und wickelte es mit zitternden Händen auf. Der Skarabäus, den Ischat ihm geschenkt hatte, war zur ausgedörrten Hülle geworden und lag so leicht auf seiner Hand, dass er ihn kaum spürte. Aber die Farbe war immer noch kräftig, der Goldschimmer wirkte, als wäre er poliert. Zwei Beinchen waren abgefallen und lagen auf dem Leinen. Als sei es gestern gewesen, sah er, wie Ischats schmutzige, kräftige kleine Finger etwas auf einem Salatblatt balancierten und ihm feierlich überreichten. »An deinem Namensgebungstag wünsche ich dir Glück«, hatte sie gesagt. Sie waren im Garten, die Sonne schien, und Ischats Stimme war voller Stolz. »Er trieb im Hochwasser«, hatte sie erklärt. »Vater sagt, Skarabäen sind sehr selten hier im Delta. Sie bevorzugen die Wüste. Er sagte, er würde mir Glück bringen, aber ich sagte, Huy braucht das eher, wenn er weit weg von hier in der Schule ist.«
    Ischat, dachte Huy und versuchte, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Ich war ein verzogener, selbstsüchtiger, böser kleiner Junge, doch du hast mich trotzdem geliebt. Du warst immer klüger als ich. Du hast mir geholfen, diesen schrecklichen Affen loszuwerden. Jetzt weiß ich, warum ich Angst vor ihm hatte. Er gehörte zu meiner Zukunft, zu den Pavianen im Thot-Tempel, zum Heka und dem Buch. Etwas in mir spürte diese Zukunft und ist zurückgeschreckt. Wie klingt deine Stimme heute, Ischat? Ist sie immer noch schrill vor selbstgerechter Empörung oder Eifersucht und sanft, wenn es eine neue Entdeckung auf dem Blumenfeld mit einem Huy zu teilen gilt, der nicht mehr da ist? Die Sehnsucht, sie wiederzusehen, überfiel ihn. Das ist bloß die Unsicherheit, was in Nachts Haus geschehen wird, dachte Huy. Daher brauche ich die Sicherheit meiner Kindheit. Seine Hände zitterten nicht mehr. Vorsichtig wickelte er den Skarabäus wieder ein und legte ihn in das Fach zurück.
    Schließlich entschied er, sich wie der junge Adelige zu kleiden, der er nicht war. Er legte einen Schurz mit Goldrand, die Tunika, den mit Türkisen besetzten Ledergürtel und Anukets Ohrring auf den Hocker und stellte ein Kajaltöpfchen und mit Jasmin parfümiertes Haaröl auf den Tisch. Es war Zeit für seine erste Unterrichtsstunde.
    Am Abend nachdem ihn ein schweigsamer Pabast rasiert und gezupft hatte, ging Huy ins Badehaus, wusch sich gründlich, dann ölte er sich ein und bestellte eine Sänfte. Während er auf sie wartete, kleidete er sich sorgfältig an, stellte den Spiegel auf den Tisch, kniete sich hin und applizierte vorsichtig schwarzes Kajal auf seine Augenlider. Thutmosis hatte etwas Henna in einem Töpfchen neben seinem Bett stehen lassen. Zu gern hätte sich Huy die Handflächen und Fußsohlen damit gefärbt und sehnte sich plötzlich bitter nach dem Recht, das zu tun. Aber er war kein Aristokrat und würde es wohl auch nie werden. Er rieb sich Jasminöl auf

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