Der Seher des Pharao
Brust und Bauch und zwängte seine Füße in die steifen Ledersandalen. Sie drückten ihn, aber da er den Weg in einer Sänfte zurücklegen würde, behielt er sie an. Die Sänftenträger waren da. Nach einem letzten Blick auf sein Gesicht im Spiegel ging er hinaus und grüßte sie.
Der Flussarm stieg unablässig an, seine glatte Oberfläche strafte die darunter liegende starke Nordströmung Lügen. Später würde der Uferweg überschwemmt sein, aber jetzt reichte das Wasser nur bis zur Hälfte von Nachts Anlegestufen. Huy dachte kurz an die letzte Nilschwemme, als Anuket sich so hatte gehen lassen und er und Thutmosis auf den Stufen am Fluss gesessen und sich im Mondlicht unterhalten hatten. Es schien, als wäre das gestern gewesen, doch seither war fast ein ganzes Jahr vergangen. Wiederum standen ein halber, zunehmender Mond und der helle Sothis-Stern am schwarzen Nachthimmel. Die Träger beantworteten die Nachfrage von Nachts Wachen am Tor und brachten die Sänfte zum Haupteingang. Huy stieg aus. Die Männer würden im Gras schlafen, bis es Zeit war, ihn wieder in die Schule zurückzutragen. Huys Herz hämmerte heftig, und er nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich bestmöglich zu sammeln, bevor er den von Lampen erhellten Empfangsraum betrat.
Thutmosis erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gewartet hatte, und die beiden jungen Männer umarmten sich. »Götter, was habe ich dich vermisst!«, sagte Thutmosis, als sie Arm in Arm ins Speisezimmer gingen. »Ich habe gehört, dass dein Unterricht weitergeht, während der Rest von uns Däumchen drehen und auf das nächste Schuljahr warten muss. Ich stelle es mir schrecklich vor, die ganze Zeit als einziger Schüler unter den Augen der Lehrer zu sein! Musst du hart ran?«
»Sehr hart«, lachte Huy. »Aber das ist gut. Es macht mir Spaß. Der Oberpriester will, dass ich die Schule an meinem sechzehnten Namensgebungstag abgeschlossen habe, und das werde ich.«
»Das ist in acht Tagen.« Thutmosis ließ Huys Arm los. »Was wirst du dann machen?«
Im Speisezimmer wurden sie vom vertrauten Duft edler Speisen und teurer Parfüms empfangen. »Darüber möchte ich mit deinem Vater sprechen«, sagte Huy, der hinter dem Freund eintrat. Thutmosis blieb kurz stehen, drehte sich aber nicht um und setzte sich dann auf das Kissen vor seinen mit Blumen geschmückten Tisch.
Nascha lief zu Huy, küsste ihn überschwänglich auf beide Wangen und zog ihn mit sich. Anuket schwebte an seine Seite. Er sah ihr mit derselben inneren Kapitulation in die Augen, die all ihre Treffen kennzeichnete, seit er sich in sie verliebt hatte. Er wartete nicht auf die übliche leichte Berührung seines Kinns durch ihre Lippen, sondern nahm ihre Hand, drehte sie um und küsste die mit Henna gefärbte Handfläche. »Sei gegrüßt, Kleine«, sagte er sanft. »Es ist schön, dich wiederzusehen.« Sie lächelte, ließ ihre Hand einen Moment in seiner, ehe sie sie wegnahm und sich ohne etwas zu sagen an ihren Tisch zurückzog.
Huy ging zu Nacht, der die Szene beobachtet hatte, und verbeugte sich. »Verzeih mir, dass ich mich selbst in dein Haus eingeladen habe, Herr. Es gibt etwas, das ich nach dem Essen gern mit dir besprechen würde.«
Nacht sah ihn ernst an. »Du bist hier jederzeit willkommen, Huy. Du gehörst hier geradezu zum Inventar. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie es war, ehe Thutmosis dich mitgebracht hat.« Er deutete auf Huys Tisch. »Wir reden später.«
Inventar. Huy hätte jubilieren können. Nacht schnipste mit den Fingern, und die Diener trugen den ersten Gang auf. Huy beeilte sich, an seinen Tisch zu kommen, hob die feuchten Blüten an und legte sie vorsichtig neben sich.
»Sehr oft benutzt du Kajal nicht, Huy«, rief Nascha ihm zu. »Damit siehst du sehr hübsch und geheimnisvoll aus. Was ist der Anlass?«
Huy sah hinunter auf den Salat, der vor ihn gestellt wurde. »In ein paar Tagen werde ich volljährig«, antwortete er. »Ich dachte, es sei an der Zeit, die Kindheit hinter mir zu lassen.«
Nascha prustete. »Wichtigtuerei! Bitte werd nicht erwachsen. Vater erlaubt es nie, dass ich einen Mann niederringe. Es wäre unschicklich.« Ihr volles Lachen erklang.
Anuket trank einen Schluck Wein und richtete sich sehr gerade auf. »Dein Benehmen grenzt immer an Ungehörigkeit, Nascha«, sagte sie geziert. »Deshalb kommen deine Freier mit Eifer und gehen mit noch größerer Bereitwilligkeit.«
»Du selbstgerechter kleiner Tugendbold!«, gab Nascha zurück. »Du warst einmal so
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