Der Seher des Pharao
ein nettes und sanftes Kind. Kümmere dich nicht um meine Freier. Ich bedauere jetzt schon den Mann, den du heiratest!«
»Ruhe!«, ging Nacht scharf dazwischen.
Thutmosis beugte sich zu Huy herüber. »So streiten sie sich jeden Tag«, murmelte er. »Vater macht das wahnsinnig. Anuket verhöhnt Nascha, und die beleidigt sie. Das Problem ist, dass es keine Frau in diesem Haushalt gibt, die Anuket beim Erwachsenwerden hilft. Ich wünschte, Vater würde wieder heiraten.«
Huy sah ihn überrascht an. »Ich nehme an, das könnte er. Aber ich dachte immer, die Erinnerung an deine Mutter sei dafür zu gegenwärtig.«
»Huy, du bist ein Schwärmer«, entgegnete Thutmosis. »Auch die Trauer endet einmal.«
Die beiden jungen Mädchen hatten nach dem Verweis des Vaters ihre gute Laune wiedergefunden, und das Essen wurde ohne weitere Vorkommnisse beendet. Für den immer nervöser werdenden Huy schien es sich endlos hinzuziehen. Gang um Gang wurde gereicht, die Weinbecher wurden geleert und mehrfach nachgefüllt – allerdings nicht der von Anuket, wie Huy belustigt feststellte. Nach dem dritten Mal machte der Mundschenk einen Bogen um Anuket und trug den Krug nun zu den anderen. Sie zog die zarten Mundwinkel nach unten, sagte aber nichts dazu, stocherte würdevoll in ihrem Essen und beteiligte sich nicht an den Gesprächen um sie herum. Schließlich schob Nacht seinen Tisch zur Seite und stand auf. »Komm mit, Huy. Kinder, ihr müsst heute Abend mit euch selbst vorlieb nehmen.«
Huys Kehle wurde trocken. Wie immer hatte der Wein seine Nervosität nicht gedämpft. Er erhob sich und folgte dem Gaufürsten in den Flur.
Nachts Arbeitszimmer ging auf den rückwärtigen Garten hinaus. Hinter dem Arbeitstisch, auf dem nur eine Alabasterlampe brannte, befand sich ein großes Fenster, vor dem jetzt das Schilfrollo heruntergelassen war. Rundum in den Wänden waren Nischen eingelassen, in denen Schriftrollen aufbewahrt wurden. Der Raum strahlte Ordnung und Effizienz aus. Nacht war ein guter Fürst. Er schloss die Tür hinter Huy, hockte sich auf die Tischkante und deutete auf den Stuhl neben sich. Doch Huy war zu aufgeregt, um sich zu setzen. Er schüttelte den Kopf.
»Nun, mein junger Freund, was kann ich für dich tun?«, fragte Nacht. »Soll ich meinen Schreiber kommen lassen?«
Huy war verblüfft. Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, die Unterredung festhalten zu lassen. »Ich glaube nicht, Fürst«, brachte er heraus. »Vielleicht hältst du es für nötig, nachdem du meine Bitte angehört hast.«
Nachts Augenbrauen hoben sich. »Ist es also so ernst? Leg los.« Er schien überrascht zu sein, aber Huy meinte in seiner Übersensibilität auch, einen Hauch von Wissen in Nachts dunklen Augen aufdämmern zu sehen. Der Moment war gekommen. Huy nahm all seinen Mut zusammen und begann.
»Herr, du weißt sicher, dass meine Ausbildung auf Anweisung des Oberpriesters fortgesetzt wurde und in wenigen Tagen abgeschlossen sein wird«, sagte er und wunderte sich, dass seine Stimme so klar und fest war. Nacht nickte. »Ich werde die Schule mit den besten Noten und sehr guten Zeugnissen meiner Lehrer verlassen.«
Nacht lächelte. »Natürlich«, bestätigte er. »Du bist ein sehr kluger junger Mann. Du wirst ein hervorragender Schreiber sein.«
Huy zwang sich, nicht die Fäuste zu ballen. »Der Oberpriester hat mir angeboten, sein persönlicher Schreiber zu werden. Das ist eine ehrenvolle Stellung mit guter Entlohnung, wenn ich mich entscheide, sie anzunehmen.«
Nachts Lächeln wurde breiter. »Meinen Glückwunsch, Huy«, sagte er herzlich. »Du verdienst das. Und ich freue mich, dass die Beziehung zu meiner Familie bestehen bleibt. Wir würden dich alle sehr vermissen, wenn du gezwungen wärest, dir in einer anderen Stadt Arbeit zu suchen. Vor allem Thutmosis. Er liebt dich sehr.«
»Ich ihn auch.« Verzweifelt trat Huy einen Schritt vor. »Herr, du weißt, natürlich weißt du es, dass ich auch Anuket liebe. Ich liebe sie schon seit Jahren. Ich habe sie immer mit dem Respekt behandelt, der ihrem Stand und ihrer Jungfräulichkeit zukommt. Ich war ihr treu, obwohl nie Liebesworte zwischen uns gewechselt wurden. Jetzt bitte ich dich, einen Heiratsvertrag für uns aufzusetzen. Ich glaube, sie liebt mich auch. Ich werde ein treusorgender Gatte sein. Ich möchte nicht für Ramose arbeiten. Ich möchte für dich arbeiten. Auf jeden Fall aber kann ich ihren Unterhalt gewährleisten. Ich habe lange auf diesen Moment gewartet«, fügte er
Weitere Kostenlose Bücher