Der Seher des Pharao
neigt sich die Sonne und der Abend wird kühler. Ich bin jung und kräftig. Ich sollte zu Fuß nicht mehr als fünf Tage nach Hut-Herib brauchen. Onkel Kers Schiff hat es hierher gegen die Strömung mit einer Nacht Unterbrechung geschafft. Er ging aus der Kammer, über den Hof und schaute nicht zurück.
Kurz nach Sonnenuntergang erreichte er den Stadtrand von Iunu. Er hatte den breiten Weg am Fluss genommen. Die Kiste drückte schon bald unter dem Ohr in seinen Nacken, doch er wuchtete sie nur auf die andere Schulter und lief weiter. Dabei versuchte er so gut wie möglich, beladenen Eseln, Sänften und Gruppen von Menschen auszuweichen, die allesamt in die andere Richtung unterwegs waren. Das Flusswasser wirbelte um Palmenstämme und überschwemmte die Riedgräser neben dem Pfad. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Weg selbst unter Wasser stand.
Als es so dunkel war, dass er seine Füße nicht mehr sehen konnte und auch das Gewicht der Kiste zu sehr drückte, ging er ein Stück vom Fluss weg und setzte seine Last unter einer Gruppe von Sykomoren und dornigen Akazienbüschen ab. Der Lärm der Stadt war hier immer noch zu hören. Huy sammelte Reisig, entfachte ein Feuer, füllte den Topf, den Pabast ihm gegeben hatte, mit Wasser aus dem Fluss und setzte ihn auf die Flammen. Er hatte noch nie für sich gekocht, schon gar nicht auf einem Lagerfeuer. Erschöpft beobachte er, wie das Wasser zu sieden begann und dann dicke Blasen aufwallten. Er tat die Hälfte seiner Kichererbsen, einige Korianderblätter, zwei Zwiebelschlotten, etwas Salz und Knoblauch hinein. Während er darauf wartete, dass die Erbsen weich wurden, aß er eine Selleriestange und zwei Pflaumen. Die Datteln und die Feigen würden sich halten. Er probierte zwischendurch immer wieder mit der Messerspitze, ob die Kichererbsen endlich gar wären, und sein Appetit wuchs, je mehr der Geruch von Knoblauch und Koriander die Abendluft erfüllte. Schließlich war seine einfache Suppe fertig. Er aß sie gierig zusammen mit kaltem Rind-und Gänsefleisch, spülte sein Geschirr anschließend sorgfältig im Fluss und legte es zum Trocknen aus.
Es war jetzt ganz dunkel, und auf dem Weg war es ruhig geworden. Satt und müde grub sich Huy eine kleine Kuhle in den mit Gras bedeckten Sandboden und legte sich hinein. Als Kopfstütze diente ihm sein größerer Lederbeutel. Er hatte weder einen Mantel noch sonst etwas zum Zudecken, und so fing er trotz der lauen Nacht schon bald zu frieren an. Er überlegte, ob es hier Schlangen und stechende Insekten gab, und zog die Knie an. Wie verweichlicht bin ich doch, dachte er reumütig. Kein Unterricht mit Pfeil und Bogen, im Ringen oder Schwimmen verhindert, dass meine Hüfte und meine Schulter wehtun. Trotzdem machte sich ein Gefühl der Ruhe in ihm breit, und vor seinem geistigen Auge tauchten Bilder aus der Schule auf und verschwanden wieder. Auch Anukets Name war dabei, aber nicht sie selbst, sondern nur Nachts Züge voll Mitleid und Entschlossenheit waren zu sehen und führten dazu, dass Huy innerlich aufstöhnte und wieder hellwach war. Er zwang sich, daran zu denken, wie er mit Thutmosis redete und lachte, und endlich konnte er doch einschlafen.
Bei Tagesanbruch wachte er steif und zitternd auf, packte seinen getrockneten Hausrat in den Beutel, nahm die Kiste wieder auf die Schulter und ging weiter nach Norden, den Fluss immer an seiner linken Seite. Er fühlte sich schmutzig. Seine Zöpfe hatten sich gelöst, und unter dem Schurz spürte er Sandkörner auf seiner Haut. Doch als rechts von ihm der rote Schimmer des neugeborenen Re erschien, hellte sich auch seine Stimmung auf, und die Bewegung seiner Beine vertrieb die Kälte. Er hatte beschlossen, nur einmal am Tag, bei Sonnenuntergang, zu essen. Sein Magen verlangte zwar die gewohnte Portion Milch, frisches Brot und Obst, die ihm zu dieser Tageszeit ans Bett gebracht wurden, aber Huy verwarf das. Methen, dachte er. Methen, das kleine Lehmziegelhaus und ein neues, bescheidenes Leben. Er begann zu pfeifen.
Erst am Spätnachmittag des fünften Tages näherte er sich Hut-Herib. Seine Vorräte hatte er zu diesem Zeitpunkt schon aufgegessen, und auch das Bier war längst getrunken; in der Hitze des Tages war es zu verlockend gewesen. Einmal hatte er sich den Fuß verbrannt, als ein glühender Ast aus seinem Feuer rollte. Um den Schmerz zu lindern und sich zu kühlen, war er durch das Wasser gelaufen, das den Weg bereits knöcheltief bedeckte. Doch schon einen Tag hinter
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