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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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nach Hause zu kommen«, erinnerte er Huy. »Wenn deine Eltern dich abweisend behandeln, kannst du ihnen das nicht vorwerfen. Du bist immer noch sehr hochmütig! Geh und besuch sie. Akzeptiere ihren Gruß, sei er nun herzlich oder zurückhaltend. Ist es dir nie in den Sinn gekommen, dass deine lange Abwesenheit sie verletzt haben könnte?«
    Nein, dachte Huy traurig, das ist es nicht. Mein Vater hat mir sein Vertrauen entzogen. Ker hat mir seine Liebe entzogen. Sie waren alle froh, wenn ich weg blieb. Außer als Nacht, Nascha und Thutmosis mich besucht und ihnen Geschenke mitgebracht haben. Da hatten sie mich gern bei sich. Die Erbitterung schmeckte in seinem Mund wie saure Milch. Ich gehe zu ihnen und erdulde die Medizin, die mein Vater in meine unwilligen Ohren träufeln wird. Ich werde ihnen die Papyrusrollen mit dem Lob meiner Lehrer zeigen – aber nicht um ihre Anerkennung betteln. Anschließend sehe ich sie nur, wenn ich muss, beispielsweise am Namensgebungstag meines Bruders. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wann der ist.
    Er unterbrach sich unvermittelt und blieb stehen. Ischat, dachte er erschrocken. Ich werde Ischat treffen. Wie sieht sie jetzt aus? Götter, sie ist inzwischen fünfzehn. Wie sehr ist sie gewachsen? Wird sie mir immer noch mit ihrer scharfen Zunge die Wahrheit vorhalten, und wird mir das wie früher nichts ausmachen? Methen war um die Ecke des Tempels verschwunden, und Huy rannte ihm nach.
    Im Lagerhaus entdeckten sie ein wackeliges Bett, das wohl aus einem reichen Haus stammte, denn von seinem Rahmen blätterte Gold ab, und in das Kopfteil war die Göttin Nut geschnitzt, die Re jeden Abend verschluckt. Ihre Farben waren sogar noch ziemlich kräftig. Außerdem förderte Methen einen schlichten Holztisch, dessen zahlreiche Messerschnitte davon zeugten, dass er aus einer Küche kam, zwei Stühle, zwei niedrige Hocker und zwei gesprungene Öllampen aus Ton zu Tage. »Diese kannst du sicher mit frischem Ton reparieren«, sagte er. »Von mir kannst du Kissen, Laken und zwei Decken bekommen, aber zum Waschen musst du ins Badehaus des Tempels gehen. Und dann sehe ich noch in der Küche nach, was es an Bechern, Tellern und sonstigem Gerät gibt.«
    Huy schüttelte den Kopf. »Ich habe die Sachen, die Pabast mit gegeben hat. Sie reichen mir. Ich brauche mir nur eine Schüssel, etwas Soda, Lumpen und einen Besen auszuleihen, um das Haus zu putzen. Und dann vielleicht etwas Tünche?«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
    Methen lachte. »Das Haus ist wirklich ziemlich dunkel. Ich schaue, dass der Mann, der sich um den Rasen, den Gemüsegarten und den Stall des Tempels kümmert, dir etwas Tünche anrührt und eine Bürste für dich findet. Es ist Zeit für das Mittagessen, und dann sitze ich vor dem Heiligtum und empfange die Bittgänger. Wir essen zusammen, Huy, und danach solltest du schlafen. Du siehst immer noch müde aus.«
    Huy antwortete ihm stumm: Was du siehst, ist nicht mein körperlicher Zustand, sondern der Tumult in meiner Seele, teurer Freund. Ich habe Heimweh nach meiner Schule, nach Thutmosis und, ja, nach meiner sauberen kleinen Kammer. Es war so bequem, Nachts Sohn zu sein, sich die Sprache und das Benehmen der Adeligen anzueignen, weiches Leinen, süßes Öl und mit Goldstaub vermischtes Kajal für selbstverständlich zu halten, sich mit Nachts Gästen auf gleicher Ebene zu unterhalten, einen Diener zu rufen, wann immer ich etwas brauchte. Halte ich dieses neue, steinige Dasein aus? Kann ich es auch nur einen Tag lang ertragen? Auf was habe ich mich eingelassen?
    In Methens Haus fand Huy seine Kleidungsstücke in einem ordentlichen Stapel auf dem Bett, gestärkt und, wie zu erkennen war, angesichts von Naschas Gold-und Silbersäumen und der Stoffqualität mit Ehrfurcht gefaltet. Methens Diener kam mit einem Tablett herein, von dem der Wohlgeruch einer guten warmen Mahlzeit aufstieg. Dazu gab es Bier. Die beiden Männer setzten sich zum Essen.
    »Ich brauche nicht mehr Schlaf«, sagte Huy. »Ich werde dein weites Gewand gegen einen meiner Schurze tauschen und mich dann auf den Weg zum Haus meines Vaters machen.«

15
    Huy kleidete sich für den Besuch bei seiner Familie bewusst ohne Rücksicht. Er entschied sich für einen von Naschas Schurzen, ein Stück mit Goldsaum und aus Leinen zwölften Grades, so fein, dass man trotz der Stärke den Umriss seiner Hüften durch die Falten hindurch sehen konnte. Um die Taille legte er Nachts mit Türkisen besetzten Gürtel. Er bereute es nicht,

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