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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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dass er Anukets Ohrring der Hure gegeben hatte, aber ihm fehlte schon das Schwingen gegen seinen Hals. Sein einziger anderer Ohrring war ein schlichtes Anch-Zeichen an einem goldenen Kettchen, dessen Nachts Frau überdrüssig gewesen war und das sie ihm vor langer Zeit gut gelaunt an einem sonnigen Morgen zugeworfen hatte. Der musste genügen. Huy zog seine Augen sorgfältig mit dem Kajal nach, das ihm Thutmosis geschenkt hatte. Er hatte keine Armreifen, aber das Sa-Amulett glänzte auf seiner rasierten Brust, und an den Fingern seiner linken Hand steckten die beiden Ringamulette, Seele und Frosch. Er würde Hapus Haus nicht kleinlaut und würdelos wie ein eingeschüchtertes Kind betreten. Der Geruch des Jasminöls, des einzigen, das er besaß, machte ihn krank, weil es ihn an seine Demütigung erinnerte, doch nur die Allerärmsten hatten kein Öl, um ihre Haut im ägyptischen Klima zu schützen. Außerdem, sagte Huy sich, als er den Jasminduft über seinen Körper und in den offenen Haaren verteilte, konnte die Begegnung mit seinen Eltern gut ebenso niederschmetternd wie das Gespräch mit Nacht und der misslungene Geschlechtsverkehr mit der Hure verlaufen. Zum Schluss kämmte und flocht er seine Haare, band sie mit der Froschschließe und schlüpfte in seine alten Sandalen. Dummerweise musste er laufen und würde mit staubigen Beinen und Füßen am Haus seiner Eltern ankommen, aber das war nicht zu ändern. Wenigstens kann ich ja versuchen, meinen Schurz sauber zu halten, dachte er grimmig, packte die Papyrusrollen von seinen Lehrern in seinen kleinen Beutel, verließ Methens Haus und machte sich quer über den Rasen auf den Weg.
    Es erschien ihm eine Ewigkeit, bis er den Stadtrand erreichte. Er ging absichtlich langsam, weil er nicht ins Schwitzen kommen wollte. Die dicht gedrängten Häuser der Stadt wichen versprengten Anwesen, und zu seiner Rechten erstreckten sich, jetzt unter der Wasserlinie, die kostbaren, von gestutzten Palmen gesäumten Gärten seines Onkels Ker. Das Wasser reichte bis auf wenige Handbreit an den Pfad heran, der am Haus seines Vaters vorbeiführte. Viel zu bald sah Huy die niedrige Lehmziegelmauer, das hölzerne Tor und hinter den wenigen Bäumen des Gartens das weiß getünchte Haus. Er staunte, wie klein alles war, als er am Tor stehen blieb. Wie winzig der Garten mit dem Miniteich, um den die Mutter Gemüse zog, wie niedrig das flache Dach, wie bescheiden das Haus, das er einst für so riesig wie den Palast des Pharao hielt! Rechts stand die Hecke, die den Garten von den Obstbäumen trennte, und dahinter lagen Kers Felder, auf denen Hapu arbeitete, fruchtbare schwarze Erde im Überfluss, die im Augenblick von nährstoffreichem Schlamm bedeckt wurde. In gut sechs Wochen würden Kers unzählige Bauern, darunter Huys Vater, knöcheltief durch den warmen Matsch waten und die Saat von hundert verschiedenen wohlriechenden Blumen ausbringen, aus denen Girlanden, Kränze, Parfüme und Duftöle für die Reichen werden sollten. Allerdings hat mein Vater mehr Privatsphäre als ich mit meinen drei Zimmern, die zwischen ein Bierhaus und eine staubige Straße gepfercht sind. Er zwang sich das Tor zu öffnen und die wenigen Schritte zur offenen Haustür zurückzulegen.
    Es war still im Haus, abgesehen von einem leisen Schnarchen, das aus dem Raum drang, der schon immer das Schlafzimmer der Eltern war. Leise ging er durch den kurzen Flur zu dem Zimmer, das er noch für seines hielt. Die Tür war geschlossen. Er öffnete sie vorsichtig und spähte hinein. Jemand schlief in seinem Bett. Huy konnte nur einen Kopf mit zerzausten schwarzen Haaren und einen kleinen Fuß erkennen, der unter dem zerwühlten Laken hervorschaute. Einen Moment lang war Huy empört. Das war sein Zimmer! Er hatte die zugegebenermaßen grobschlächtigen Bilder leuchtend grüner Frösche und buschiger gelber Palmen auf die weißen Wände gemalt, und da stand auch mehrfach sein Name in unbeholfenen, aber entzifferbaren Hieroglyphen. Dann siegte sein Verstand. Das war nicht mehr sein Zimmer. Es gehörte seinem Bruder Heby, und der war sicher auch das Kind unter dem grauen Laken.
    Huy musste ein Geräusch gemacht haben, zu laut ausgeatmet haben, oder die Tür hatte geknarrt, denn plötzlich regte sich die Gestalt, schob das Laken beiseite und setzte sich auf. Schweigend sahen sich die beiden an. Huy registrierte die entschlossenen, regelmäßigen Züge des Jungen, den gesunden Glanz der braunen Haut, die großen dunklen Augen, die den

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