Der Seher des Pharao
langsam, habe das aber bald nachgeholt«, erklärte Huy. »Heby wird das auch. Seine braunen Augen zeigen Intelligenz.« Der Versuch, seinen Vater mit dem Kompliment daran zu erinnern, dass Heby und er vom selben Blut waren, missglückte. Hapu grunzte nur.
Huy wollte schon seinen Beutel öffnen und die Papyrusrollen herausholen, als Hapsefa quer durch den Raum zu ihm gerannt kam und ihn mit Freudenschreien auf die Füße und an sich zog.
»Junger Herr! Wie schön! Sieh dich an! Du bist hinter unseren Rücken erwachsen geworden! Legst du dich immer noch in Gemüsebeete, um Frösche zu fangen? Stattdessen fängst du jetzt wohl Mädchen und bist zu groß zum Hinternversohlen! Bleibst du länger hier? Itu, wo soll er schlafen? Es ist kein Platz.« Dabei küsste sie ihn die ganze Zeit auf die Wangen und Hände und Huy erwiderte lachend die Küsse. Das war die Frau, die ihn sowohl verzogen als auch bestraft hatte, ihm Schlaflieder gesungen und ihn mit ihren Geschichten über Dämonen und Geister in Schrecken versetzt hatte. Huy erinnerte sich, wie sehr er sie geliebt hatte. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert. Das runde Bauerngesicht war immer zerfurcht gewesen, die Brüste waren groß und weich, sodass sich ein kleiner Junge gut dagegen lehnen konnte, die Arme dick und stark.
Sie hielt ihn ein Stückchen weg und betrachtete ihn genau. »Feines Leinen und goldene Amulette. Jasminparfüm und Hände ohne eine einzige Schwiele. Bist du jetzt ein Edelmann, junger Herr? Soll ich mich vor dir verbeugen und dich Prinz nennen?« Ihre Augen blitzten ihn ohne Häme an.
Huy streckte die Hände aus. »Nein, nein, Hapsefa. Schau, kein Henna auf den Handflächen. Leinen, Gold und Öl sind Geschenke der Familie meines Freundes Thutmosis, und ich war so sehr mit dem Unterricht beschäftigt, dass ich keine Zeit hatte, etwas anderes als einen Pinsel und ein paar Waffen in die Hand zu nehmen. Mein Rang hat sich kaum verändert.«
»Doch, ein bisschen. Ein bisschen schon. Du sprichst mit einem herrschaftlichen Tonfall. Götter, ist es schön, dich hier zu haben!« Sie drehte sich zu Itu um, die hinter ihr hereingekommen war. Itu trug jetzt ein sauberes Kleid und hatte sich die Haare gekämmt und mit einer Schleife nach hinten gebunden, die, so hätte Huy schwören können, zu den Geschenken gehörte, die Nacht seinerzeit mitgebracht hatte. Ihm wurde übel.
»Ich hole jetzt den Schedeh-Wein«, erklärte Hapsefa. »Und ich habe heute Morgen Dattelkuchen gebacken. Setz dich wieder hin, junger Herr.« Sie lief hinaus.
Huy nahm wieder auf dem Boden Platz. Itu setzte sich daneben, nahm seinen Arm und kuschelte sich an ihn. »Es ist so schön, dich zu sehen, mein Liebling. Weshalb bist du hier? Warum bist du nicht in der Schule?«
Huy sah in ihr gerötetes Gesicht. »Die Schule in Iunu schließt doch immer während der Nilschwemme«, erinnerte er sie. »Aber das ist egal, Mutter, meine Schulzeit ist abgeschlossen.« Er öffnete den Beutel und holte die Rollen heraus. »Das sind die Zeugnisse und Empfehlungen meiner Lehrer. Darf ich sie euch vorlesen?« Hapu nickte. Er hatte sich zurückgelehnt und beobachtete Huy. Mit großem Stolz las Huy langsam die Lobesworte der Männer vor, die in den letzten zwölf Jahren sein Leben bestimmt hatten.
Er hatte die Hälfte der Rollen vorgelesen, als Hapsefa mit Keramikbechern und einem Krug Wein zurückkam. Wortlos goss sie ihnen ein und blieb dann in der Tür stehen, um zuzuhören. Als Huy geendet hatte, war sie die Erste, die sprach: »Ich wusste immer, dass du der Beste sein wirst, egal, was du machst. Ich nehme an, du kehrst nun nach Iunu zurück, wirst Oberschreiber eines reichen Mannes, heiratest seine Tochter und führst ein Leben in Wohlstand. Gut gemacht, junger Herr! Lass mich das nur Ischat erzählen!«
Huys Kehle war trocken. Der süße Granatapfelwein netzte sie und brachte eine Menge Erinnerungen mit sich. Ja, Ischat, dachte er und stellte seinen Becher auf den Boden. Wo ist sie? Arbeitet sie noch hier im Haus, oder hat sie ihr Vater mit irgendeinem kräftigen Feldarbeiter verheiratet? Diese Vorstellung missfiel ihm gründlich. Ich möchte, dass sie hier ist. Ich möchte sie wiedersehen. Ich möchte, dass sie sich nicht verändert hat. Wie Hapsefa.
Seine Mutter drückte seinen Arm und murmelte Glückwünsche. Sie schien ziemlich überwältigt. Hapu lächelte dünn. »Du hast über alle Widersacher triumphiert«, sagte er, und Huy wusste, dass sich sein Vater dem Thema seines Todes
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