Der Seher des Pharao
nie weiter nähern würde. »Was kommt jetzt, Huy?«
Huy sah in die drei erwartungsvollen Gesichter. »Der Re-Oberpriester in Iunu hat mir die Stellung seines persönlichen Schreibers angeboten«, begann er vorsichtig. »Aber ich habe abgelehnt. Ich war lange genug im Tempel. Ich möchte für eine Weile in eine andere Umgebung.«
Hapu sah ihn verständnislos an. »Was bedeutet das?«, fragte er scharf. »Solch eine Stellung wäre für jeden jungen Mann ein Glücksfall. Von ihr aus kann man noch mehr erreichen. Wie lange ist ›eine Weile‹, Huy?«
»Ich weiß nicht«, gab Huy zu. »Ich werde als Schreiber für den Chenti-Cheti-Oberpriester Methen arbeiten.« Hapu zuckte merklich zusammen, und Huy war klar, dies hatte nichts damit zu tun, dass es sich um eine niedrige Stellung handelte.
»Ist dir etwas Schlimmes in Iunu widerfahren?« Diese Frage kam von der scharfsinnigen Hapsefa. »Bist du deshalb in dieser elenden Stadt?«
Wie soll ich ihnen das mit Anuket und dem Buch Thot oder das mit den Ehrerbietungen der Priester, die mir unangenehm sind, erklären? Wie, dass ich das Sa Tag und Nacht tragen muss, um die Dämonen von mir fernzuhalten? Wie, dass ich den Heka von Atum und Thot fürchte und hasse? Mutter versteht es vielleicht. Ihr werde ich es irgendwann sagen, aber nicht jetzt.
»Nein, nichts Schlimmes«, log er. »Es sei denn, man könnte des vielen Lernens überdrüssig zu sein und den Wunsch nach neuen Erfahrungen als schlimm bezeichnen. Methen hat mir ein Haus in der Stadt, in der Nähe des Tempels, gegeben.«
Itu richtete sich auf. »Dann bist du in unserer Nähe!«, rief sie. »Huy, dann können wir dich ganz oft sehen!«
Hapsefa rümpfte hörbar die Nase. »Das ist eine Stufe zu tief für deine Fähigkeiten. Ich hoffe, dass ein neues Überdrüssigsein und der Wunsch nach anderen, passenderen Erfahrungen alsbald einsetzen wird. Ich habe dich als Kind nie für dumm gehalten. Eigensinnig und jähzornig ja, aber nicht blöd. Was ist mit dem Vater deines Freundes, dem Gaufürsten von Iunu? Kann er nichts für dich tun?«
»Das habe ich nicht zugelassen«, log Huy erneut und wich dem gewitzten Blick der Dienerin nicht aus. »Ich habe mir das gesucht, was ich im Moment tun möchte. Ich bin kein Kind mehr, Hapsefa. Ich bin volljährig und ein freier Mann.«
Hapsefa verdrehte die Augen und ging hinaus, um mit einem Teller Dattelkuchen zurückzukommen, den sie vor Itu stellte. »Heby liegt bereits im Teich und ist voller Matsch. Ich fische ihn heraus und wasche ihn, danach kochen wir etwas Gutes für dich, Huy. Iss erst einmal meine Kuchen. Du hast sie immer gemocht.«
Hapu hatte nichts gesagt. Er hielt den Kopf gesenkt und betrachtete seine nackten Füße. Du bist nicht glücklich, mich so nah zu haben, dachte Huy und betrachtete den Scheitel seines Vaters. Fürchtest du, dass ich meinen kleinen Bruder irgendwie verderbe? Oder willst du bloß nicht ständig daran erinnert werden, dass deine Liebe zu mir versagt hat?
»Ihr braucht keine Angst zu haben, dass ich euch zu oft besuche«, sagte er. »Methen hat genug für mich zu tun, und außerdem verläuft euer Leben mittlerweile in Bahnen und Gewohnheiten, die ich mit meiner Anwesenheit nur stören würde. Ich bleibe nicht einmal über Nacht.«
Hapu hob den Kopf. Als er Huys festen Blick sah, schaute er rasch weg. »Du bist eingeladen, so lange zu bleiben, wie du willst«, murmelte er, aber seine Worte gingen in Itus lautem Protest unter.
»Was für ein Unsinn! Du musst uns wenigstens einmal die Woche besuchen. Und was heute Nacht angeht: Heby kann bei deinem Vater und mir schlafen. Hapsefa wird dein altes Bett frisch beziehen. Wir bestehen darauf, nicht wahr, Hapu?« Sie beugte sich ängstlich zu ihrem Mann herüber.
Er zog sie an sich und küsste sie. »Ich würde gern noch einmal in meinem alten Zimmer schlafen, vorausgesetzt, Heby weiß, dass das nicht für immer ist. Mach dir keine Sorgen, Itu, ich möchte ja nur vermeiden, dass ich diesen Haushalt störe.«
Der heiße Nachmittag verging mit höflichen Gesprächen, und bei Sonnenuntergang stellten Hapsefa und Itu ein bescheidenes Festmahl auf den niedrigen Tisch. Heby war frisch gewaschen und in einem sauberen Schurz aufgetaucht und im Schoß seiner Mutter eingeschlafen. Der Geruch des Essens weckte ihn wieder, und so aß die Familie mit betonter Fröhlichkeit. Als Huy seine letzte mit Honig überzogene Feige kaute, krabbelte Heby einfach auf seinen Schoß und reckte ihm sein verschmiertes
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