Der Seher des Pharao
steht eine Alabasterlampe. Wo warst du letzte Nacht? Du hast wieder gestohlen, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete sie unverfroren. »Du bist früh eingeschlafen, und ich war noch nicht müde. Ich habe mich trotzdem ins Bett gelegt und gemerkt, dass die Matratze unangenehm grob ist. Also bin ich noch einmal losgegangen.« Sie zog ein weiteres Leinentuch aus dem Korb und tauchte es in das heiße Wasser. »Ich bin durch die Gassen hinter den Anwesen der Adeligen gegangen. Dort findet man die interessantesten Abfälle, weil die Diener die Sachen einfach über die Mauer werfen. Die Lampe war halb vergraben unter vermoderten Nebes-Blättern. Am Boden ist ein kleines Stück abgesplittert, ansonsten ist sie tadellos.«
»Und die Laken?«
»Die habe ich gestohlen. Irgendein dummer Diener hatte sie über eine Mauer gebreitet. Sie riefen geradezu nach einem armen Bauern, der sie sich nahm.« Sie sah ihn flehend an. »Bitte verlang nicht, dass ich sie zurückbringe. Sie sind so weich auf der Haut. Ich schwöre, dass ich nie wieder etwas stehle. Nie wieder.« Sie zeigte auf das Wasser. »Komm, waschen wir uns, dann gehen wir an die Arbeit.«
Sie ist glücklich, überlegte Huy. Ihre Augen blitzen, ihre Bewegungen sind leicht und geschmeidig. Liegt es daran, dass ich dir eine wunderbare Zukunft prophezeit habe, Ischat? Oder hat es damit zu tun, dass du mich endlich für dich allein hast?
Er nickte. »Die Nächte werden irgendwann kälter. Ich werde Methen um eine weitere Decke bitten. Eine für dich.« Mehr sagte er nicht.
Mit dem Tünchen aller Innen-und Außenwände sowie der Decken verging der Tag rasch. Der Gärtner hatte ihnen Bürsten und eine riesige Tonschüssel zum Anrühren der Tünche gegeben. Viele Male bahnte Huy sich seinen Weg durch die wogende Menge am Flussufer, um die Schüssel mit Wasser zu füllen und es zurück in sein kleines Haus zu schleppen. Als er die mit Girlanden geschmückten Leute sah, musste er an Anuket und ihre geschickten Finger denken, mit denen sie die Dankopfer für Hapi zu flechten pflegte, die auf das Wasser geworfen wurden. Er erinnerte sich an die feierliche Freude, mit der sie und er, Thutmosis und Nascha, Nacht und seine Frau auf Nachts Anlegestufen standen, die Gebete sprachen und dann zusahen, wie ihre Blumenkränze zusammen mit Hunderten anderer dieser ebenso bescheidenen wie großartigen Opfer langsam in Richtung Großes Grün davonschwammen. Anschließend wurde immer gefeiert, es gab ein Festmahl mit Musik, Unmengen Wein und vielen Gästen. Danach umfingen ihn die Ruhe und Bequemlichkeit des Zimmers, das er als das seine betrachtete, das breite Bett, die Lampen mit dem parfümierten Öl, ein Diener, der seine schmutzige Kleidung versorgte und frisches Wasser ans Bett stellte, eher er ihm eine gute Nacht wünschte.
Es wird viele solcher Tage geben, sagte er sich grimmig, als ihm das Wasser immer schwerer wurde und der Schweiß in die Augen lief. Momente, in denen ich dafür sorgen muss, dass die Erfahrungen meines neuen Lebens die Erinnerungen an das alte überlagern, bis mich schließlich kein Anblick, kein Geruch, kein plötzlicher Musikfetzen mehr nach Iunu zurückwirft. Während sie arbeiteten, sprachen Huy und Ischat wenig. Mittags machte sie sich mit dem benutzten Frühstücksgeschirr auf den Weg in die Tempelküche und kam mit Knoblauchsuppe und Brot zurück. Sie aßen rasch und schweigend, dann nahmen sie ihre Bürsten wieder auf. Bei Sonnenuntergang waren sie fertig. Jetzt roch das Haus penetrant nach gemahlenem Kalk.
Huy ging in Methens Räumlichkeiten und nahm sich mit einer stummen Entschuldigung bei seinem Arbeitgeber ein Stück Docht für die Alabasterlampe und ein Fläschchen Stakte. Die Mischung aus Balan-Öl und zerstoßenen Myrrhenblättern würde den alten Gestank nach Mäusen und den neuen nach Kalk vertreiben. Ischat goss Öl in die Alabasterlampe, ging zum Anzünden in das Bierhaus und stellte sie dann auf den Tisch. Sofort erfüllte ihr warmer Schein den Raum. Ischat ließ sich auf den Stuhl neben Huy fallen. »Die Lampe ist innen mit Schmetterlingen bemalt«, sagte sie. »Schau, Huy, du kannst ihre Farben sehen! Wie schön die weißen Wände das Licht zurückwerfen!«
»Ja.«
»Wir brauchen Matten für den Boden«, fügte sie hinzu. »Ich kann welche flechten, wenn du mir Schilf aus den Sümpfen holst.«
»Ja.«
»Du bist müde und traurig.« Sie drehte sich herum, um ihm ins Gesicht zu schauen. Ihre Haare waren strähnig und die Züge ebenso
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