Der Seher des Pharao
Lampenöls wahrnehmen.
Plötzlich krallten sich seine Finger in ihr Haar. Sie sah erschrocken auf. Ihm war plötzlich so übel, dass er meinte, sich übergeben zu müssen. Vor seinen Augen verschwamm alles. Dann war seine Sicht wieder klar und die Übelkeit weg. Er starrte in ein Gesicht, dessen strahlende Augen mit Kajal nachgezogen waren. Der volle Mund war hennarot. Goldstaub glitzerte auf den Lippen und in der Kuhle des langen Halses, um den eine schwere Goldkette lag. Weiterer Goldschmuck zierte die Stirn: ein Art Diadem, an dem winzige grüne Frösche aus Fayence und rote Skarabäen aus Karneol hingen. Die Ohrringe bestanden aus Elektron-Rosetten, die an zarten Silberkettchen baumelten. Das kostbare Aroma von Zitronen und Rosen stieg Huy in die Nase. Die dunklen Augen zwinkerten, sodass Huy sehen konnte, dass die Lider mit golddurchsetztem dunkelblauem Puder geschminkt waren, und verengten sich dann zu einem Lächeln. »Huy, du?«, sagte Ischats Stimme. »Wir haben heute nicht mit dir gerechnet. Komm herein und trink einen Becher Wein.« Das edle Gesicht blickte in die andere Richtung. »Ptahmose! Bring Schedeh und zwei Becher! Oder bist du jetzt zu bedeutend, um noch Schedeh zu trinken, alter Freund?«
Huy öffnete den Mund, um zu antworten, als er merkte, dass er tief über Ischat gebeugt saß. Seine Hände hatten ihre Haare gepackt, und sein Gesicht war gegen ihren Kopf gepresst. Ischat versuchte, sich loszumachen. »Huy!«, schrie sie. »Lass mich los! Du tust mir weh!«
Frierend und zitternd richtete er sich auf und lehnte sich zurück. Sein Kopf schmerzte, als klaffte eine Wunde darin. »Ischat«, flüsterte er kraftlos. »Du wirst die Frau oder Konkubine eines sehr wichtigen Mannes. Du hast wunderschön ausgesehen!«
Sie hatte sich auf die Fersen gesetzt und wütend den Kopf gerieben, doch als sie das hörte, ging sie wieder auf die Knie und legte ihre feuchten Hände auf seine Schenkel. »Huy, die Gabe!«, stieß sie atemlos hervor. »Sie ist zurück! Sie ist wieder erwacht in dir! Ich habe es vorhergesagt! Ich werde schön sein? Erzähl mir genau, was du gesehen hast!«
Mechanisch beschrieb er die kurze Vision und presste einen Finger fest gegen seine linke Schläfe, wo der Schmerz am stärksten war, während seine Gedanken in eine andere Richtung liefen. Ich hatte gehofft, dass ich frei bin. Obwohl sich Ramose sicher war, dass die Gabe nur ruht, habe ich mir eingeredet, der Aufruhr sei vorüber. Ich hatte sogar gewagt, mir einzubilden, Atum könnte so gnädig sein, mir meine Potenz wiederzugeben. Stattdessen schlägt er mich ausgerechnet an diesem Tag mit solch tückischer Kraft, dass ich mich sterbenselend fühle.
»Mein Mund war mit Henna gefärbt?«, fragte Ischat mit leuchtenden Augen. »Und was war mit meinen Händen, Huy? Werde ich eine Aristokratin sein?«
»Ich dachte, du verachtest die Aristokratie«, scherzte er schwach. »Ich habe deine Hände nicht gesehen, Ischat. Nur dein Gesicht. So wunderschön.«
Sie erhob sich und stellte die Wasserschüssel auf den Tisch. »Ich verachte nur die kleine Aristokratin, die du so sehr verehrst, dass es dir deine Würde nimmt«, beharrte sie. »Vielleicht hast du mich als deine Frau gesehen.« Sie vermied es, ihn anzuschauen. »Vielleicht wirst du geadelt. Du erweist unserem König einen großen Dienst, und er macht dich zum Erpaha oder zum Smer, überhäuft dich mit Gold, und dann …«
»Ich habe dir erzählt, was du in meiner Vision zu mir gesagt hast«, unterbrach er sie. »Ich war nicht dein Geliebter. Ich habe doch schon versucht, dir zu erklären, warum ich niemals … Götter, die Schmerzen sind unerträglich. Ich muss mich hinlegen, Ischat. Ich nehme an, du hast in der Küche kein Mohnpulver entdeckt und gestohlen?«
Sofort war sie neben ihm und half ihm beim Aufstehen. »Nur Ärzte haben Mohn. Soll ich dir einen Arzt bringen?«
Er schüttelte den Kopf und jaulte auf, weil die Geste so weh tat. »Womit sollte ich ihn bezahlen? Hilf mir nur ins Bett.« Auf sie gestützt, schlurfte er in sein Schlafzimmer.
Als wäre er ein Kind, nahm sie seine Hand und legte sie auf das Kopfteil. »Halte dich hier fest«, befahl sie. Sie eilte wieder in das vordere Zimmer, kam mit den Laken und dem Kissen von Methen zurück und bezog rasch das Bett. Huy war zu erschöpft, um sich zu wehren. Er zog seinen verschmutzten Schurz und das Lendentuch aus, ohne sich darum zu kümmern, dass sie ihn beobachtete, und kroch in das Bett. Die Laken rochen nach dem
Weitere Kostenlose Bücher