Der Seher des Pharao
unter der Schirmherrschaft von Chenti-Cheti.«
Huy grunzte zustimmend. »Ich denke, du hast recht. Nicht alle können geheilt werden. Manche werden nur erfahren, wann und woran sie sterben.« Er hob seine Schultern, als läge eine schwere Last darauf. »Einige werden wütend sein. Dies geschieht zu schnell, Methen. Das macht mir Angst.«
Methen umarmte ihn. »Warten wir ab, wohin Atum dich führt. Welche Wahl hast du auch sonst, Huy? Du kannst nicht davor weglaufen. Du würdest es bloß mitnehmen.«
»Ich weiß.« Huy erwiderte Methens Umarmung und löste sich dann. »Wenigstens bin ich hier nur ein normaler Einwohner. In Iunu würde ich auf ein Podest gehoben und angebetet.« Er lächelte den Priester an. »Die Leute in Hut-Herib werden meine Tätigkeit nicht über die Stadtgrenzen verbreiten.«
Methen hob die Augenbrauen. »Zumindest für eine Weile. Sollen wir nach einer anderen Palette schauen?«
Es dauerte nicht lange, bis sich das Rinnsal in der Tat in einen beständigen Strom verwandelt hatte. Wenn Huy am Nachmittag nach Hause kam, warteten immer mehrere Papyrusblätter auf ihn, die Ischat mit ihren ordentlichen Zeichen bedeckt hatte. Gelegentlich standen die Bittsteller noch Schlange, wenn er hereinkam und Ischat ihr Essen gab. Nachdem sie gegessen hatte, gingen sie die Liste durch. Danach hielten beide ihren Nachmittagsschlaf, dann machte sich Huy auf den Weg in die Stadt, um die Bedürftigen aufzusuchen, die an seine Tür geklopft hatten. Abends aßen sie, was Ischat kochte, und im Dämmerlicht ging Huy noch einmal los, um zu heilen. Er hatte Ischat beauftragt, alle Bittsteller abzuweisen, die nach dem Mittagsmahl kamen, denn dann fanden sich die Dankbaren ein, um zwei oder drei Tage nach Huys Besuch Geschenke zu bringen. Sie reichten vom Versprechen, genug Ziegel für ein neues Haus herzustellen, das der Mann machte, der gelähmt gewesen war, bis zu einem Stück Rindfleisch pro Woche, das ein Metzger brachte, der sich ein Beil in den Oberschenkel gehauen hatte und verblutet wäre, wenn Huys Hände die Blutung nicht gestoppt hätten.
Nicht alle Kranken wurden geheilt. Manchmal saß oder kniete Huy neben einem zerwühlten Bett und wartete vergeblich auf das Einsetzen der Kraft. Manchmal blieben die Götter stumm, und Huy hatte Visionen kommender Schmerzen, die ihm beinahe ebenso viele Qualen bereiteten wie den unglückseligen Menschen, die die Prophezeiungen hören mussten. Er überließ es immer den Betroffenen, ob sie erfahren wollten, was kommen würde oder lieber im Ungewissen blieben. Alle wollten es wissen, und ihre flehenden, entsetzten oder enttäuschten Augen verfolgten ihn in seinen Träumen, blickten ihn durch die Blätter des Isched-Baums an, spiegelten sich im schläfrigen goldenen Blick der Hyäne, die neben Imhotep lag.
Schon bald ließ Huy Ischat bekannt geben, dass sie künftig die Namen der Hilfsbedürftigen im äußeren Hof des Tempels aufschreiben würde, denn beide waren erschöpft und ihr Haus bot ihnen keine Ruhe mehr. Huy hatte Ischat auch angewiesen, einen Tag von allen Verpflichtungen freizuhalten. Obwohl er Methen versprochen hatte, weiter für ihn zu arbeiten, zwang ihn die schiere Menge der Bittsteller schließlich, Methen zu bitten, sich einen anderen Schreiber zu nehmen. Die ruhigen Vormittage und die kultivierte Arbeit fehlten ihm, und er sah Methen nun viel seltener. An dem einen kostbaren Tag ohne den Gestank der Entzündungen, ohne die Last des Leidens, das, so schien es ihm, der ganzen Stadt innewohnte, ruhte er sich aus, spielte Senet mit Ischat, ging mit ihr am Fluss spazieren, half ihr sogar im Haus und erlangte so etwas von seinem Gleichgewicht zurück.
Auf die Besuche bei seiner Familie musste er auch verzichten. Er schickte Ischat, um zu erklären, warum er so wenig Zeit hatte. Manchmal kam seine Mutter in den Tempelhof und wartete geduldig, bis sich die immer größere Menge, die um seine Aufmerksamkeit buhlte, zerstreut hatte, und Heby fand viele Gelegenheiten, nach dem morgendlichen Unterricht bei ihm vorbeizuschauen und mit ihm zu plaudern, ehe Hapsefa ihn abholte. Schon bald wurde aus der Jahreszeit Schemu Achet, die Zeit der Nilschwemme, und vier Monate später kam Peret, und Aussaat und Wachstum begannen erneut.
Huy und Ischat merkten kaum, wie die Zeit verging. Für sie war ein Tag wie der andere, angefüllt mit bittenden Stimmen, verwundeten Körpern und Erschöpfung. Ischat fand aber die Kraft, sich an der zunehmenden Zahl von Geschenken zu
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