Der Seher des Pharao
gesenktem Kopf und ohne etwas zu sagen, drängte er auf die Straße, und erst als Ischat und er an der Straßenecke waren, brach der Tumult mit lauten Stimmen und Schlägen gegen Iris Tür los.
»Bauern!«, sagte Ischat wütend. »Soll ich dich bis zum Tempel begleiten, Huy? Willst du dich auf mich stützen?«
»Nein. Ich habe mich erholt.« Huy blieb stehen und sah sie an. »Das ist nur der Anfang, und das weißt du, Ischat«, sagte er schleppend. »Das Mädchen wird gesund, wenn seine Eltern tun, was ich ihnen gesagt habe. Das wird die Runde machen, und schon bald wird unser Haus belagert werden. Ich wünschte, ich könnte mir eine stabile Zederntür leisten.«
Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. Ihre Augen leuchteten. »Lass uns nur diesen Tag überstehen«, erwiderte sie. »Die Götter sprechen wieder durch dich, Huy. Das ist deine Bestimmung! Es wird nicht lange dauern, bis eine neue Tür das geringste Geschenk ist, das dir dargebracht wird!«
Ärger stieg in ihm auf und rötete sein Gesicht, aber der richtete sich nicht gegen Ischat. Er drehte sich um und eilte Richtung Tempel. Sie rannte hinter ihm her und drückte ihm seine Palette in die Hand. »Die hast du neben dem Kinderbett liegen lassen. Bring mir heute Mittag etwas Besseres zu essen als Käse und Brot.«
Methen ging in seinem Quartier auf und ab, als Huy endlich über den belebten Hof ging. »Du bist sehr spät dran und siehst krank aus«, sagte der Oberpriester und nahm seinen Platz hinter dem Arbeitstisch ein, auf dem mehrere Schriftrollen lagen, die durchgesehen werden mussten. »Was ist passiert?«
Huy hockte sich im Schneidersitz neben dem Freund auf den Boden, nahm die Palette auf die Knie und stellte mit einer gewissen Distanz fest, dass seine Hände immer noch zitterten. »Etwas sehr Bedrückendes«, antwortete er und berichtete von den Ereignissen des Vormittags.
Methen hörte schweigend zu. »Es war wohl zu viel, zu erwarten, du könntest irgendwo in Ägypten unerkannt bleiben«, sagte er, nachdem Huy geendet hatte. »Ich glaube, du bist dort angelangt, wo Atum dich schon immer haben wollte, Huy, und deine Arbeit für ihn hat begonnen.«
Huy war zum Weinen zumute. »Ich denke, ich wusste schon, dass er letztendlich seine Kraft in mir wieder aufwecken würde, aber ich hatte gehofft, er würde mir noch ein paar Jahre Ruhe gönnen. Ischat und ich haben uns gerade erst eingelebt, Methen! Ich habe mich gerade erst an mein Leben hier gewöhnt! Und Heilen?« Er sah in Methens dunkles Gesicht. »Thutmosis’ Mutter konnte ich nicht heilen, doch ich habe die Zukunft von einer Handvoll Menschen gesehen. Ramose meinte, dass die Gabe irgendwann auch das Heilen einschließen wird.« Er schloss die Augen. »Ich habe keine Gewalt mehr über meinen eigenen Willen. Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn man von der Gnade eines Gottes abhängt, dessen Pläne so geheimnisvoll sind. Wenn es mir gelungen wäre, das Buch Thot zu verstehen, wüsste ich vielleicht, was schlussendlich sein Wille ist. Aber so …« Er sah auf den Boden. »Aber so muss ich die ganze Zeit gespannt sein, weil ich nicht weiß, wann es mich wieder trifft.«
»Wir müssen abwarten«, erklärte Methen. »Das Kind kann immer noch sterben, und dann wird man dich in Ruhe lassen …«
»Doch wenn das Mädchen sterben sollte, hätte ich es gesehen«, ergänzte Huy für ihn und lächelte gequält. »Also wird es leben, und mein Leben wird mir nicht mehr gehören. Nun gut. Kümmern wir uns, während wir warten, um das heutige Diktat.«
Er rechnete mit einer Flut von Bittstellern vor seiner Tür, doch zu seiner Überraschung ging eine Woche vorüber und noch eine, während sich die Leute nicht um seinen bescheidenen Eingang kümmerten. Er begann gerade, sich sicher zu fühlen, als er am ersten Tag der dritten Woche nach Hause kam, wo Ischat Iri Bier eingoss, der mit Hathor-Chebit auf den Knien am Tisch saß. Huy erkannte das Mädchen kaum. Seine Haut war rosig und gesund, die Augen leuchteten, glänzende Haare fielen in Wellen auf die kleinen, knochigen Schultern. Hathor-Chebit rannte zu Huy, warf sich auf den Bauch, packte seine Fesseln und küsste inbrünstig seine staubigen Sandalen. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich krank war«, sagte sie. »Aber Vater hat mir erzählt, dass du meine Hand gehalten und mich geheilt hast. Er hat gesagt, dass ich dir Ehrfurcht bezeugen soll, wenn du nach Hause kommst.«
Beschämt zog Huy das Kind hoch. »Jetzt hast du einen
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