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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Nase, wenn der sich über ihn beugte. Später fühlte sich Huy sicher genug, um ihn in ein Wickeltuch zu legen und auf dem Rücken zu tragen. Vor allem, wenn er vor der weiß getünchten Außenwand des Hauses stand und malte oder seine Zeichen übte, genoss er es, den warmen, winzigen Körper auf seinem Rückgrat zu spüren.
    Ischat war verpflichtet worden, Hapsefa beim Kochen und Putzen zu helfen, wenn Itu sich um das Baby kümmerte. Mit ihren zehn Jahren war sie durchaus dazu in der Lage. »Warum konnte nicht alles so bleiben, wie es war?«, jammerte sie eines Abends, als sie allein im Obstgarten saßen. »Warum musste deine Mutter nach so langer Zeit noch einmal schwanger werden? Wie hat sie das gemacht?«
    Huy wusste, dass ihre Frage nicht auf den körperlichen Akt zielte; die Vereinigung von Mann und Frau war für die pragmatischen Bauern von Hut-Herib kein Geheimnis. Huy hob eine bronzefarbene Schulter. »Seit meiner Geburt war so viel Zeit vergangen«, antworte er zögernd. »Ich nehme an, sie dachte, die Akazienspitzen seien nicht mehr nötig. Aber so schlimm ist das doch nicht, Ischat. Heby ist ein niedlicher Kerl.«
    Sie begann, den Staub unter ihren nackten Fußsohlen mit schnellen, kurzen Schlägen zu entfernen. »Für dich mag es in Ordnung sein«, schimpfte sie. »Du musst ja bloß mit ihm in seiner Kindersprache reden, wenn er im Gras liegt und dich bewundernd anstarrt. Ich kann nicht mehr durch die Kanäle waten, auf Bäume klettern oder Katzen scheuchen, denn ich bin damit beschäftigt, Töpfe zu scheuern und Böden zu fegen.« Die Bitterkeit in ihrer Stimme beunruhigte Huy.
    »Aber das ist doch nicht für immer, Ischat. Außerdem bekommt deine Familie dadurch auch mehr zu essen, mehr Leinen, mehr Schmuck für dich und Hapsefa …«
    Sie fuhr ihn heftig an: »Glaubst du, dass ich mir etwas aus Schleifen und Zierkram mache? Machen Schleifen meine Haut blass wie die einer Dame? Lässt ein Stück Fayence um meinen Hals die Schwielen an meinen Händen verschwinden? Aber du! Jedes Mal, wenn du nach Hause kommst, ist deine Haut weicher, sind deine Manieren höfischer, hat deine Sprache mehr vom Tonfall des Deltas verloren. Jetzt werde ich zu einer Bediensteten wie meine Mutter, und wir können keinen Spaß mehr miteinander haben. Bald wirst du mich nicht mehr als deine Freundin betrachten! Und das alles nur wegen dieses blöden Babys!«
    »Aber du willst doch gar keine feine Dame sein, Ischat«, stammelte er. »Das hast du selbst gesagt. Du möchtest frei sein und über die Felder und durch die Kanäle rennen.«
    »Oh, du bist so uneinsichtig wie ein Tamariskendickicht!«, schrie sie. »Ich will das sein, was du willst, dass ich bin. Ich möchte dich nicht verlieren, Huy!«
    Er nahm eine ihrer fuchtelnden Hände in seine beiden, spürte die raue Handfläche und die Hornhaut an den Spitzen der langen Finger. »Ich bin kaum etwas Besseres als du«, versuchte er sie zu beruhigen. »Auch wenn mein Vater viele Weinberge zu versorgen hat, bleibt er doch ein Gärtner.«
    Sie riss ihre Hand los. »Aber du wirst etwas Besseres sein.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Schon jetzt hast du diese adeligen Freunde, Thutmosis und seine Schwestern, und als Schreiber wirst du noch viel mehr solcher Leute kennenlernen. Du wirst mich vergessen.«
    Ein plötzliches Schuldgefühl versiegelte Huys Mund. In diesem Moment sah er sie nicht länger als das kleine Mädchen, das immer seine Spielkameradin gewesen war. Direkt unter seinen Augen schien sie erwachsen zu werden. Ihre Arme und Beine wurden länger, ihr Gesicht dünner, die Knospen winziger Brüste schwollen fast unmerklich auf ihrem nackten Oberkörper.
    »Wie könnte ich dich vergessen?«, sagte er sanft. »In allen meinen Erinnerungen an zu Hause bist du, Ischat.«
    »Mutter will mich in ein Kleid stecken«, fauchte sie. »Ich bin zur Frau geworden. Mein Vater spricht schon davon, in den nächsten Jahren einen Mann für mich zu finden. Aber ich möchte keinen blöden Mann, und ganz bestimmt keine Kinder! Oh, warum kann nicht alles bleiben, wie es war?«
    Darauf wusste Huy keine Antwort. Die Vorstellung, dass Ischat mit irgendeinem Arbeiter verheiratet wäre, war genauso erschreckend wie die plötzliche Erkenntnis, dass sie erwachsen wurde. Er verspürte eine nagende Eifersucht, die ihn überraschte. Ischat gehörte ihm. Für sich selbst hatte er die allmählichen Veränderungen, die jedes Jahr in der Schule gebracht hatte, akzeptiert. Aber Ischat durfte sich nicht

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