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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Huy an Ischat. Sie war ebenso lebenssprühend und tatkräftig, immer bereit, die Märkte der Stadt zu durchstreifen, zu fischen oder ein kleines Boot in die Sümpfe zu staken, damit Thutmosis – wenn auch ziemlich vergeblich – mit dem Wurfholz seines Vaters üben konnte. Huy durfte die Waffe der Adeligen zwar nicht benutzen, aber er war zufrieden, neben Nascha im Boot zu sitzen, während sie ihrem Bruder gutmütige Zurechtweisungen an den Kopf warf, wenn er das Wurfholz wieder einmal weit weg von einer entsprechend unbeeindruckten Ente ins Wasser befördert hatte. »Ich möchte nicht töten«, hatte Thutmosis mehr als einmal erklärt, »aber Vater will, dass ich es versuche.« Nascha pflegte dann zu schnauben und ihn als Mädchen zu bezeichnen. Sie war so, wie Ischat wahrscheinlich wäre, wenn sie eine Ausbildung und entsprechenden Zugang zur feinen Lebensart bekommen hätte.
    Am meisten hingezogen fühlte sich Huy zu Anuket, der jüngsten Schwester von Thutmosis. Sie war nur ein Jahr älter und wies die zarten Züge ihres edlen Geblüts auf. Mit zwölf erreichen die meisten Mädchen eine merkwürdige Phase der schlaksigen Extremitäten und ungeschickten Bewegungen. Anuket war da keine Ausnahme, aber in ihren Augen hielt sich ein beständiges, stilles Staunen über die Welt um sie herum, während sie ihren Aufgaben im Haushalt nachkam oder Girlanden für die Festtage der Götter flocht. Nicht selten fand sie Huy im Garten oder im Kräuterzimmer, wo sie im Schneidersitz und mit gesenktem Kopf ein neues Blumenarrangement zusammenstellte. Dann überkam ihn immer das – rasch unterdrückte – Verlangen, ihren langen, schwarzen Zopf zu nehmen und gegen sein Gesicht zu pressen. Er wusste nicht, was sie von ihm hielt. Sie war nicht schüchtern, aber reserviert. Nascha zog ihn an sich und küsste ihn, neckte und schubste ihn, wie sie das auch mit Thutmosis machte, doch Anuket lächelte nur und küsste ihn auf die Wange, wenn er zu Besuch kam. Sie redete mit ihm, lachte über seine Scherze und machte auch selbst welche, aber ihre Zurückhaltung schien unerschütterlich zu sein. »Sie findet dich großartig, wirklich«, hatte ihm Thutmosis versichert, als Huy einmal seine Zweifel geäußert hatte. »Sie hält es nur nicht für nötig, das extra zu zeigen. Mich knuddelt sie ja auch nicht, und ich bin ihr Bruder! Keine Sorge, Huy, sie wird eine gute Frau für dich!« Doch Huy, dem die Kluft zwischen sich und dieser Adelsfamilie zunehmend bewusst wurde, glaubte nicht, dass Anuket die Erlaubnis bekäme, einen niederen Schreiber zu heiraten.
    Der König saß jetzt im fünfzigsten Jahr auf dem Horus-Thron. Sein Namensvetter Thutmosis ging pflichtbewusst an jedem Jahrestag der Krönung barfuß und mit einer Opfergabe in der Hand in den inneren Hof des Re-Tempels, um für das fortgesetzte Wohlergehen seines Helden zu beten. Manchmal begleitete ihn Huy und wartete im äußeren Hof, während Thutmosis feierlich mit seinem Geschenk für den Gott im Dunkel der Säulen verschwand. Huy machte sich über die Ergebenheit seines Freundes nie lustig – im Gegensatz zu Sennefer. »Er hasst uns immer noch«, sagte Huy, als sie eines Abends im warmen Licht des untergehenden Re über den Tempelvorplatz gingen und von einem grinsenden Sennefer, der bis zur Taille im Teich stand, mit Matsch beworfen wurden. »Wir haben ihm nichts getan, doch außer in jenen Wochen, nachdem ich verbotenes Terrain betreten hatte und als eine Art Held verehrt wurde, hat er uns unablässig schikaniert.«
    »Manchmal tut er mir leid«, wandte Thutmosis ein und pflückte einen nassen Klumpen von Saum seines Schurzes, »aber nur manchmal. Auf mich ist er neidisch, weil mein Geschlecht älter ist als seines, und auf dich, weil du klug bist und gut aussiehst. Er ist zu faul, um sich anzustrengen, und liebt das Essen zu sehr, um auf etwas zu verzichten. Wir sollten ihn gar nicht beachten. Das hasst er.« Er seufzte. »Wir gehen besser im Badehaus vorbei, um diesen Dreck loszuwerden.«
    Als Huy Ende des Monats Mesore nach Hause kam, war sein Bruder, ein ruhiges, glückliches Kind, sechs Monate alt und hatte gerade gelernt, sich vom Bauch auf den Rücken zu drehen. Itu ließ ihn oft bei Huy im schattigen Garten, wenn sie sich um ihre Pflichten im Haushalt kümmerte. Zuerst hatte Huy protestiert, doch mit jedem Tag mochte er Heby mehr. Er sah zu, wie der Kleine seine runden Ärmchen in das Gras stemmte, bis er hinplumpste. Dann gluckste er vor Freude und langte nach Huys

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