Der Seher des Pharao
meine Mutter?« Die Frage war noch nicht ganz über seine Lippen, als sein Geist die Frau und das Parfüm übereinbrachte. Er winselte vor Erleichterung. »Mutter! Natürlich! Dann ist das hier mein Zimmer?«
»Das ist dein Zimmer, aber sehr oft hältst du dich nicht darin auf. Den größten Teil des Jahres bist du in der Schule in Iunu. Woran kannst du dich erinnern, Huy? Weißt du, wie alt du bist?«
Huy überlegte. »Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht zwölf. Diese Zahl sagt mir etwas. Stimmt das?«
Sie nickte und wartete anscheinend auf mehr. Huy fuhr fort: »Ich erinnere mich, dass ich im Haus der Toten aufgewacht bin. Davor war ich an einem wunderbaren Ort. Jemand hat mir gesagt, dass ich mit einem Wurfholz angegriffen wurde und in einen See gefallen bin, denn es war Wasser in meiner Lunge. Die Sem-Priester hatten Angst vor mir. Sie wollten mich auch töten.«
»Sie glauben, dass du nicht mein Sohn bist, sondern ein Dämon von Huys Körper Besitz ergriffen hat. In der ganzen Stadt spricht man davon, wie du fünf Tage lang tot dagelegen bist. Du musst versuchen, dich an so viel wie möglich zu erinnern. Du musst jeden überzeugen, dass du immer noch Huy bist und dein Ka nicht entflohen ist.«
»Ich habe große Schmerzen«, brachte er heraus. »Mein Kopf. Ich denke, derjenige, der mich angegriffen hat, heißt Sennefer, und es geschah in einem Tempel. Warum hat er mich angegriffen? Ist das richtig so, Mutter?«
»Ja!«, antwortete sie nachdrücklich. »Aber ich will keine Fragen beantworten. Es ist besser, wenn du selbst antwortest. Wir müssen beten, dass dein Gedächtnis zurückkehrt, wenn die Wunde heilt.« Sie langte zum Tisch und stützte seinen Kopf. Huy schmeckte eine dicke, kühle Flüssigkeit, die durch seine Kehle rann und deren Bitterkeit ihn würgen ließ. »Der Priester Methen hat diesen Mohn gegen deine Schmerzen zubereitet«, erklärte sie. »Er lässt dich schlafen. Ich muss jetzt mit deinem Vater reden, und auch der Verwalter deines Onkels Ker wartet auf Neuigkeiten für seinen Herrn.«
Ehe er die Augen schloss, zwang sich Huy, an die Decke zu schauen. Wohlvertraute Risse schlängelten sich über den Putz, jeder Spalt eine Art Rückversicherung. Mein Zimmer. Ich bin zu Hause.
Die nächsten Tage waren bestimmt von regelmäßigen Gaben des ekelerregenden Mohns, so viel Wasser, wie Huy haben wollte, vielen Stunden Schlaf und ebenso vielen Stunden, in denen er benommen und angenehm betäubt beobachtete, wie die Sonnenstrahlen langsam über den Fußboden wanderten. Seine Mutter kümmerte sich die ganze Zeit um ihn. Des Öfteren hörte er das Geschrei und das fröhliche Lallen eines kleinen Kindes irgendwo im Haus, das Schimpfen einer Frau namens Hapsefa, ihrer Dienerin, wie seine Mutter sagte, und die festen männlichen Schritte seines Vaters Hapu. Doch außer seiner Mutter kam niemand in seine Nähe. Sein Onkel wollte regelmäßig wissen, wie es ihm ging, aber weder er noch seine Tante besuchten ihn. Huy fragte schließlich, als er, gestützt von einem Berg Kissen, im Bett saß, warum.
»Sie haben alle Angst vor dir«, sagte sie unverblümt. »Es war nicht gut, dass ich mich mit deinem Vater gestritten habe. Er kümmert sich wenig um die Götter, aber wie so viele, die den Göttern nicht trauen, ist er abergläubisch. Wenn du in den Garten gehen kannst, wird er dich sehen und sich beruhigen. Hapsefa hat dich sehr geliebt und hofft, dass sich ihre Angst, dein Ka wäre verschwunden, nicht bestätigt.« Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. »Ich habe dir eine Gerstensuppe mit Zwiebeln und Aloesaft gemacht, um dein Herz zu stärken. Hier ist auch Dattelwein, aber wenn du ihn noch nicht magst, musst du ihn nicht trinken.«
Huy betastete seinen Kopf. Sein Haar bedeckte seinen Schädel bereits wieder mit einem schwarzen Flaum, allerdings nicht über der hässlichen Beule, die jene Stelle markierte, wo das Wurfholz ihn so brutal aus seiner Vergangenheit gerissen hatte. »Mutter, warum ist kein Arzt für mich gerufen worden? Liegt es daran, dass Vater zu arm ist, um ihn zu bezahlen? Onkel Ker würde das doch bestimmt übernehmen.«
Ihre Hände begannen plötzlich zu zittern, als sie das Tablett auf seine Oberschenkel stellte. »Dein Onkel hat gesagt, wenn sich deine Wunde entzündet und du stirbst, ist das ein Zeichen, dass du unschuldig bist«, sagte sie heiser. »Doch wenn du überlebst, läge es daran, dass der Dämon in deinem Körper gesiegt hat.« Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer
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