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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Gestalt kreischte und stolperte rückwärts. Etwas fiel aus ihrer Hand klappernd auf den Boden. Weitere Gestalten erschienen und bewegten sich undeutlich am Rand von Huys Phantasiebild. Unter Schmerzen richtete er sich langsam auf. Er saß auf einem schmalen Bett in einem Raum voll mit solchen Betten – und auf allen lagen absolut bewegungslose Menschen. In der Mitte stand ein Tisch mit merkwürdig geformten Messern und Werkzeugen. Überall brannten Lampen und erfüllten die stinkende Luft mit einem Licht, das Huy, der die strahlende und klare Atmosphäre des wunderschönen Gartens erwartet hatte, dick und schwer erschien. Die Gestalten, die vor ihm zurückwichen, entpuppten sich als Männer in Schurzen, auf denen getrocknetes Blut klebte. Sie starrten ihn mit blankem Entsetzen an. Einer zeigte bebend auf ihn. »Ich wollte ihn gerade aufschneiden … aufschneiden …«, wiederholte er immer wieder hysterisch. Auch Huy begann zu zittern.
    »Wo bin ich?«, brachte er heraus. »Wo ist Imhotep?« Er sah sich um, aber statt des erhofften Gartens mit dem Baum war da nur eine fleckige Mauer. Das Umdrehen hatte ihm Schmerzen bereitet. Sein Kopf und sein Hals hämmerten unerträglich, und seine Schultern sandten ganze Schmerzsalven seinen Rücken hinunter. Vorsichtig drehte er sich wieder zurück. Die Männer waren verstummt. Sie starrten ihn bewegungslos an, und auch auf den anderen merkwürdigen Betten rührte sich niemand. Der ganze Raum war wie erstarrt.
    Die plötzliche Erkenntnis verursachte Huy Übelkeit. Er beugte sich vor und übergab sich auf das Obsidianmesser, das zu seinen Füßen auf dem Boden lag. Er war im Haus der Toten. Die Männer, die ihn so ängstlich anstarrten, waren Sem-Priester, und einer von ihnen hatte gerade seinen Unterleib aufschneiden wollen, um mit der Einbalsamierung zu beginnen. »Aber ich bin doch tot!«, stieß er mit trockenem Mund hervor. »Ich bin gestorben und habe die Halle der beiden Wahrheiten gesehen. Imhotep … Imhotep hat mit mir gesprochen, und alles war nicht bloß schön, es war wunderbar. Wieso bin ich jetzt hier?« Er räusperte sich und atmete den Geruch des Todes ein, der an seiner Haut haftete, von der Bahre wie vom Boden aufstieg, mit der Hitze der Lampen zu ihm strömte. Seine Zähne klapperten so sehr, dass er kaum sprechen konnte. »Haben die Götter meinen Ka zurück in meinen Körper gegossen? Sagt es mir. Sagt es mir!«
    Es blieb lange still, während Huys Arme und Beine, seine Füße und Knie, ja sogar sein Kopf, unkontrolliert zuckten. Die Priester beäugten ihn misstrauisch. Endlich antwortete ihm einer, blieb dabei aber stehen, wo er war, und schien bereit, sich hinter seinen Kollegen zu verschanzen, wenn Huy einen Schritt auf ihn zu wagen würde.
    »Dies ist das Haus der Toten in Hut-Herib«, sagte er bebend. »Dein Körper wurde vor fünf Tagen von deinem Vater und deinem Onkel aus Iunu hierhergebracht. Du … du bist durch einen Schlag auf den Kopf getötet worden. Deine Lungen waren voll Wasser. Als wir dich auf den Einbalsamierungstisch gelegt haben, kam es wie … wie eine Flut aus dir herausgelaufen.« Er keuchte. »Du hast nicht geatmet. Kein Atemzug, fünf Tage lang. Wir haben viel zu tun. Wir konnten nicht gleich mit deiner Verschönerung anfangen. Was bist du? Antworte mir im Namen von Ausar Unnefer, dem Großen Gott der Toten! Gewiss hat die Verschlingerin Amam-Apep den Ka von Huy, Sohn des Hapu, geraubt!« Er schrie beinahe, und die Männer rückten wie zum Schutz dichter zusammen.
    »Ihr Götter.« Huy kämpfte gegen die Müdigkeit, die ihn zu übermannen drohte. Sie hielten ihn für einen Dämon. Sie glaubten, sein Ka sei verschwunden und etwas Böses sei an dessen Stelle getreten. Verzweifelt kramte er in seinen Erinnerungen, konnte aber kaum mehr als Fetzen finden. Das Gesicht einer Frau. Seine Mutter? Ein Mädchen – kein Name. Eine Schreiberpalette auf Knien – seine Knie? –, eine Stimme, die diktiert, und eine Hand – seine Hand? –, die die Zeichen auf Papyrus schreibt. Ein Baum – ja, das war der Isched-Baum, aber er stand in einem offenen Innenhof, und er selbst war noch sehr klein, als er ihn interessiert und ängstlich anstarrte. Keine Papyrusrolle. Wo war sie? Wo war Imhotep?
    Er wusste, dass er sich beherrschen musste, denn wenn er nicht aufrecht dastehen und normal mit den Männern reden würde, würden sie sich auf ihn stürzen und seine Kehle durchschneiden. Mit geballten Fäusten trat er von der Bahre weg. »Ich schwöre

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