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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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fragen. Quinn lachte gelegentlich und sagte: »Junge, Junge, diesmal blick’ ich gar nicht durch«, aber ich sagte ihm: »Das kommt, das kommt«, und er ging mit. Lombroso allerdings muß wohl gewußt haben, daß ich viele dieser Eingebungen von Carvajal erhalten hatte. Aber darüber ließ er mir gegenüber niemals ein Wort fallen – und zu Quinn oder Mardikian, glaube ich, auch nicht.
    Von Carvajal aber erhielt ich auch Instruktionen persönlicher Art.
    »Es wird Zeit für einen Haarschnitt«, sagte er mir Anfang September.
    »Kurz, meinen Sie?«
    »Ab.«
    »Wollen Sie sagen, ich soll mir den Kopf rasieren?«
    »Genau das.«
    »Nein«, sagte ich. »Wenn es eine blöde Mode gibt, die ich verabscheue…«
    »Unerheblich. In diesem Monat haben Sie begonnen, kahl zu gehen. Machen Sie es morgen, Lew.«
    »Ich hätte mir niemals einen Preußen schneiden lassen«, protestierte ich. »Das entspricht überhaupt nicht meinem…«
    »Sie haben aber doch«, sagte Carvajal schlicht. »Was könnten Sie dagegen sagen?«
    Aber was für einen Sinn hatte es, zu streiten? Er hatte mich kahl gesehen; also mußte ich los und mir einen Preußen verpassen lassen. Keine Fragen, hatte der Mann gesagt, als ich an Bord kam: Folge nur einfach dem Drehbuch, Junge.
    Ich lieferte mich dem Friseur aus. Danach sah ich aus wie ein übergroßer Erich von Stroheim, minus Monokel und Stehkragen.
    »Oh, das sieht fantastisch aus!« rief Sundara. »Herrlich!«
    Zärtlich glitten ihre Hände über meine stoppelige Kopfhaut. Zum ersten Mal seit zwei oder drei Monaten sprang ein Funke zwischen uns über. Ihr gefiel der Kahlkopf, sie war absolut hingerissen. Natürlich: Mich so scheren zu lassen, hätte ein verrücktes Transit-Unternehmen sein können. Für sie war es ein Zeichen, daß ich vielleicht doch noch den Anschluß fände.
    Es gab andere Befehle.
    »Verbringen Sie ein Wochenende in Caracas«, sagte Carvajal. »Mieten Sie ein Fischerboot. Sie werden einen Schwertfisch fangen.«
    »Warum?«
    »Tun Sie es«, sagte er unnahbar.
    »Ich sehe nicht, welchen Sinn es haben soll, nach Ca…«
    »Bitte, Lew. Sie sind störrisch.«
    »Können Sie wenigstens dieses eine Mal eine Erklärung geben?«
    »Es gibt keine Erklärung. Sie müssen nach Caracas.«
    Es war absurd. Aber ich fuhr nach Caracas. Ich trank einige Margaritas zuviel mit ein paar Rechtsanwälten aus New York, die nicht wußten, daß ich Quinns rechte Hand war, und ihn ziemlich lautstark runtermachten: Wieder und wieder beschworen sie die guten alten Zeiten, als Gottfried noch den Pöbel an der Kandare hielt. Faszinierend. Ich mietete ein Boot, fing wirklich einen Schwertfisch, wobei ich mir fast beide Handgelenke brach, und ließ das verdammte Biest für einen schwindelerregenden Preis präparieren. Mir kam die Idee, daß Carvajal und Sundara sich verschworen haben mochten, mich in den Wahnsinn oder vielleicht in die Arme des nächsten Transit-Proktors zu treiben. (Dasselbe?) Aber das war unmöglich. Wahrscheinlicher war es, daß Carvajal mir nur einen Blitzkurs für das Leben nach Drehbuch verabreichte. Akzeptiere jedes Diktat, das dir aus dem Morgen zukommt: Stelle keine Fragen.
    Ich akzeptierte die Diktate.
    Ich ließ mir einen Bart wachsen. Ich kaufte affige neue Kleider. Ich las eine träge, kuhbrüstige Sechzehnjährige am Times Square auf, füllte sie mit Rum in der höchsten Bar des Hyatt Regency, mietete dort selbst ein Zimmer für zwei Stunden und kopulierte grimmig mit ihr. Ich verbrachte drei Tage im Medizinischen Zentrum der Columbia Universität, als freiwillige Versichsperson für Sonopunktur-Experimente, und als ich das Zentrum verließ, summte mir jeder Knochen im Leib. Ich beteiligte mich an einer Zahlenwette, setzte tausend Kröten auf 666 und wurde hinweggefegt, da die Gewinnzahl des Tages 667 war. Bitter beschwerte ich mich darüber bei Carvajal. »Ich habe ja nichts dagegen, verrückte Sachen zu machen, aber diese Verrücktheit ist teuer. Hätten Sie mir nicht wenigstens die richtige Nummer geben können?« Er lächelte undurchsichtig und sagte, er hätte mir die richtige Nummer gegeben. Ich nehme an, ich sollte verlieren. Alles anscheinend ein Teil meines Trainings. Existenzieller Masochismus: die Zen-Methode des Glücksspielens. In Ordnung. Stelle keine Fragen. Eine Woche später ließ er mich einen Tausender auf 333 setzen, und ich machte ein gar nicht so kleines Vermögen. Es gab also Kompensationen.
    Folge dem Drehbuch, Jüngelchen. Stell keine Fragen.
    Ich trug meine

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