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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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war die körperliche bedeutungslos geworden, und schlimmer.
    Das letzte Mal, daß wir – Liebe machten, miteinander schliefen, den Akt vollführten, tickten –, war sechs Tage, bevor Carvajal sein Todesurteil über die Ehe sprach. Ich wußte nicht, daß es das letzte Mal sein würde, obwohl ich es wohl hätte wissen müssen, wenn ich nur halb der Prophet gewesen wäre, als den mich die Leute bezahlten. Aber wie hätte ich die apokalyptischen Schattierungen entdecken sollen, das Gefühl, daß ein Vorhang niederging? Es standen nicht einmal ominöse Gewitterwolken am Himmel. Donnerstag, der dreißigste September, war es, eine milde Nacht an der Wende zwischen Sommer und Herbst. An jenem Donnerstagabend trafen wir uns mit alten Freunden, der Caldecott-Dreiergruppe, Tim, Beth und Corinne. Abendessen im Bubble, hinterher Himmelsshow. Tim und ich waren vor langer Zeit im selben Tennisclub gewesen, und wir hatten einmal ein Turnier für gemischtes Doppel gewonnen; das war Band genug, unsere Beziehung aufrechtzuerhalten; er hatte lange Beine, war sorglos, ungeheuer reich und vollständig unpolitisch, was seine Gesellschaft in diesen Tagen meiner Rathaus-Verantwortungen zu einem Vergnügen machte. Keine Spekulationen über die Launen der Wählerschaft, keine versteckten Andeutungen, die über mich Quinn erreichen sollten, keine Analysen laufender Trends, einfach nur Unterhaltung und Spiele. Wir tranken zuviel, wir rauchten zuviel Bone, wir trugen einen spielerischen Fünffach-Flirt aus: Eine Zeitlang sah es so aus, als würde ich mit zweien aus dem Caldecott-Trio im Bett landen – höchstwahrscheinlich Tim und der goldhaarigen Corinne –, während sich Sundara mit dem anderen einließ. Aber als sich der Abend entfaltete, entdeckte ich starke Signale, die von Sundara in meine Richtung ausgingen. Überraschung! War sie so abgefahren, daß sie vergessen hatte, nur ihren Ehemann vor sich zu haben? Oder lag unsere letzte Nummer schon so lange zurück, daß ich ihr als eine verlockende Neuheit erschien? Ich weiß es nicht. Werde es nie wissen. Aber die Wärme ihres plötzlichen Blicks löste eine Lichtschwingung zwischen uns aus, die schnell in Weißglut überging: Behutsam und fröhlich entschuldigten wir uns bei den Caldecotts – sie sind solche natürlichen Aristokraten der Sensibilität, daß keine bösen Gefühle aufkamen, keinerlei Mißverständnisse von Zurückweisung, wir gingen mit Anmut auseinander, von baldigem Wiedersehen redend –, und Sundara und ich eilten heimwärts. Immer noch die Schwingung, weißglühend.
    Nichts zerstörte die Stimmung. Die Kleider fielen von uns, unsere Körper drängten sich aneinander. Nichts heute von all den raffinierten Kama-Sutra-Ritualen des Vorspiels; sie war brünstig, ich auch, und wie Tiere vereinigten wir uns. Sie gab einen seltsamen kleinen, zitternden Seufzer von sich, als ich in sie eindrang, einen heiseren Laut, der mehrere Töne zugleich anzuschlagen schien, wie ein Laut von jenen mittelalterlichen indischen Instrumenten, die nur auf Moll-Tonarten gestimmt werden und traurige, näselnde Trauben von Tönen hervorbringen. Vielleicht wußte sie in dem Moment, daß wir zum letzten Mal uns liebten. Ich bewegte mich in ihr mit der Gewißheit, daß ich nichts falsch machen konnte: Wenn ich je dem Drehbuch folgte, dann damals, ohne Vorbehalt und Berechnung, ohne Trennung des Selbst von der Handlung – ich war beweglicher Punkt im Kontinuum, Handelnder und Handlung und Umgebung ineinandergeflossen und ununterscheidbar, vollkommen in Einklang mit den Vibrationen des Augenblicks. Ich lag über ihr, hielt sie in meinen Armen, in der klassischen Position des Westens, die wir aber – bei unserem großen Repertoire orientalischer Variationen – selten eingenommen hatten. Mein Rücken und meine Hüften fühlten sich stark an wie gehärteter Damaszenerstahl, elastisch wie der polymerisierteste Kunststoff, und so schwang ich denn hinein und hinauf, hinein und hinauf, hinein und hinauf, mit leichten, vertrauensvollen Bewegungen, und hob sie gleichsam auf juwelenbesetztem Spieß zu immer höheren Ebenen des Genusses, und gar nicht so nebenbei brachte ich mich selbst auch da hinauf. Für mich war es ein makelloser Bums, aus Müdigkeit, Verzweiflung, Rausch und Verwirrung geboren, ein Koitus von der Sorte Ich-habe-nichts-mehr-zu-verlieren. Es hätte ohne weiteres bis zum Morgen weitergehen können. Sundara klammerte sich eng an mich und antwortete perfekt auf meine Stöße. Ihre Knie waren

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