Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
Beschäftigung. Offenbar hatte sie sich in die tierische Gemeinschaft des Hühnerstalls eingefügt.
Er dachte darüber nach, wie gut sich Isobel in die Gemeinschaft der Burg eingefügt hatte. Sie war damit beschäftigt gewesen, jeden Tag die Mahlzeiten zuzubereiten, dafür zu sorgen, dass in den Lagern genügend Kleidung und Lebensmittel vorrätig waren. Sie hatte sich sogar damit beschäftigt, getrocknete Kräuter aus dem Garten zu Arzneimitteln zu mischen, damit seine Leute die beste Versorgung genießen konnten, wenn die erforderlich werden sollte. Ihr war keine andere Wahl geblieben, als diese Ehe einzugehen, und doch hatte sie alles gemacht, was man von einer Ehefrau erwarten durfte. Wäre sie eine Spionin gewesen, hätte sie sich dann so viel Mühe gegeben?
Es gab keinen Zweifel, dass sie ihn in einem Punkt getäuscht hatte. Aber selbst wenn ihm von Anfang an klar gewesen wäre, dass er eine Balliol vor sich hatte, hätte ihn das davon abhalten können, sie bei ihrer Begegnung auf der Insel zu berühren? Er hatte nur einen Blick in diese unendlich tiefen Augen geworfen und sich dabei vorgestellt, flehentlich von ihr angesehen zu werden, damit er sie nahm, sie festhielt und liebte.
Doch etwas von dem, was sein Vater gesagt hatte, hielt sich hartnäckig in seinem Hinterkopf, nämlich die Andeutung, dass es etwas über Isobel zu wissen gab, das ihm vorenthalten worden war.
Verärgert verdrängte Wolf diesen Gedanken. Seinem Vater konnte er nicht trauen. Nein, er musste einfach weiter daran glauben, dass Isobel ihn nicht hintergangen hatte. Zielstrebig begab er sich zum äußeren Burghof.
»Isobel?«
Die leichte Brise trug seine Stimme über den freien Platz, während er auf den äußeren Burghof gelangte, wo Walter sie zuletzt gesehen hatte. Nahe dem großen Tor blieb er schließlich stehen und grübelte, wohin sie gegangen sein mochte.
Plötzlich bemerkte er, dass etwas auf der Erde lag. Beim Näherkommen sah er eine ramponierte Armbrust. Er hob sie auf und betrachtete sie. Hatte Isobel sie bei sich gehabt? Langsam drehte er sich um und ging zurück zur Feste.
»Wolf?«
Als er die vertraute Stimme hörte, schaute er über die Schulter. Fiona stand am geschlossenen Fallgitter und hielt mit ihren zarten Fingern die metallenen Gitterstäbe umklammert. Sie sah aus, als koste es sie schon zu viel Kraft, nur dazustehen. Ihr gelbes Kleid war schmutzig und zerrissen, ihr Haar war zerzaust und mit Erde und Laub verklebt. Eine Platzwunde klaffte an ihrer Schläfe und hatte sich ringsum tiefblau verfärbt.
»Fiona?« Er gab den Wachen ein Zeichen, das Fallgitter hochzuziehen, woraufhin ein metallisches Knirschen und Knarren ertönte.
Fiona ließ die Stäbe los und stand schwankend da, hielt sich aber auf den Beinen. Als der Weg frei war, stellte er sich zu ihr und stützte sie. »Was ist geschehen?«
Ihr leerer Blick konzentrierte sich auf sein Gesicht, und Angst machte sich in ihm breit. »Er hat sie mitgenommen.«
»Wer hat wen mitgenommen?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits erahnte.
»Isobel.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Grange nahm sie mit.«
»Wohin?« Unruhe ergriff von ihm Besitz.
»Das weiß ich nicht.« Die Tränen wollten gar nicht mehr versiegen, während sie auf die Knie sank. »Ich habe versucht, ihr zu helfen. Das musst du mir glauben.«
Angst und Verwirrung sorgten dafür, dass er nicht mehr wusste, wem er noch was glauben sollte. Er sah hinüber zum Wald. War das nur wieder eine Falle? Oder hatte Grange tatsächlich Isobel in seiner Gewalt? Wenn ja, dann konnte Grange mühelos das schaffen, was Walter nicht gelungen war.
Nicht nur Angst regte sich in ihm, sondern auch ein anderes Gefühl, das er sich nach wie vor nicht eingestehen wollte. Ein Gefühl, das er viel zu lange unter Verschluss gehalten und dessen Wichtigkeit er ebenso abgestritten hatte wie die Wirkung auf jeden Atemzug, den er tat.
»Ich muss sie finden«, erklärte er.
Fiona nickte und fiel vornüber, aber Wolf bekam sie zu fassen, als sie in eine Ohnmacht abglitt. Fluchend nahm er sie in die Arme und trug sie zur Feste. Solange sie bewusstlos war, würde er nicht erfahren können, welche Information sie noch besaß. Im Saal angekommen, legte er sie auf eine Matratze.
Isobel konnte sich praktisch überall aufhalten. Und wenn Grange sie in seiner Gewalt hatte, dann durfte er keine Zeit verlieren. Bald würden Brahan und die anderen zur Burg zurückkehren, die ihm bei der Suche hätten helfen können.
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