Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
töten.«
»Wo ist sie?«
Er zuckte mit den Schultern, schnappte jedoch wegen der Schmerzen sofort heftig nach Luft. »Ich entdeckte sie auf dem Burghof, bevor die anderen herkamen. Sie hatte das Fallgitter öffnen lassen und stand am Tor, als warte sie auf etwas.«
Oder auf jemanden.
Ein Schauer lief Wolf über den Rücken. Hatte Isobel ihn etwa auch verraten? Machte sie womöglich mit seinem Vater gemeinsame Sache? Aber wie sollte das möglich sein, wenn der sich doch solche Mühe gegeben hatte, um Walter auf sie anzusetzen? Dennoch war das Misstrauen in ihm erwacht. Warum sollte sie das Tor öffnen? Und warum sollte sie ganz allein auf dem Burghof stehen und warten?
Wolf fuhr sich durchs Haar und hoffte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen, doch stattdessen stürmten nur noch mehr Fragen auf ihn ein. Die Angriffe hatten doch ihr gegolten, oder nicht? Vielleicht waren sie in Wahrheit ja gegen ihn gerichtet gewesen, und sie hatte sich vorsätzlich selbst vergiftet, um ihn auf eine falsche Fährte zu locken. Aber warum sollte sie so etwas tun?
Widersprüchliche Gefühle schlugen wie eine sturmgepeitschte Woge über ihm zusammen, und er kniff die Augen zusammen, während er in seiner Erinnerung kramte, ob sie irgendetwas getan oder gesagt hatte, dass seinen verwegenen Verdacht bestätigen konnte.
Im Geiste sah er, wie Isobel bei ihrer ersten Begegnung im Cottage da stand, einsam und verlassen und auf der Suche nach einem Retter. Er sah sie am Teichrand sitzen, die Füße unter dem Saum ihres Kleides versteckt. Als sie ihn an diesem Tag angeschaut hatte, war ihr Blick von purer Zärtlichkeit und von ehrlichem Verlangen erfüllt. Er wusste, was er da gesehen hatte, das war die Wahrheit, nichts Vorgetäuschtes.
Und als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten … Wolf schlug die Augen auf und schaute den betrübt dreinblickenden Walter an. Jede ihrer Berührungen hatte ihm gezeigt, dass er ihr etwas bedeutete, und ein Teil von ihm war an diesem Tag wieder zum Leben erwacht. Jener Teil, von dem er geglaubt hatte, sein Vater habe den schon vor langer Zeit wie ein lästiges Insekt zerdrückt. Er hatte ihr damals vertraut, und das tat er jetzt immer noch.
»Es muss einen Grund gegeben haben, weshalb sie das Tor öffnete.« Wolf sah seinen Bruder an und suchte verbissen nach einer anderen Erklärung. »Ich muss dich etwas fragen, und ich akzeptiere nichts anderes als die Wahrheit.«
Walter nickte.
»Hast du je den Versuch unternommen, Isobel oder mir etwas anzutun?«
»Nur vorhin auf dem Burghof, sonst nicht.« Seine Worte klangen überzeugend. »Allerdings wusste ich von meiner Mission bereits, seit wir auf St. Kilda eingetroffen waren. Was glaubst du, warum ich seit unserer Rückkehr so gereizt war? Ich wusste, ich würde dich von der Frau trennen müssen, die du lieben gelernt hattest, und das alles nur, weil unser Vater das so wollte.«
»Hat er dir gesagt, warum er ihren Tod wollte?«
»Ich habe ihn nie gefragt«, antwortete Walter kopfschüttelnd. »Ich hielt es für einen weiteren Trick, um unser Leben zu kontrollieren.«
»Meines kontrolliert er nicht länger.«
Walter machte große Augen. »Was hast du getan?« Er versuchte sich aufzusetzen, doch ein Hustenanfall zwang ihn liegen zu bleiben.
»Ich habe einen Entschluss gefasst, der mich das Leben kosten könnte.« Wolf stand auf, weil er seine Frau finden und von ihr die Wahrheit hören wollte. »Ich muss Isobel suchen.«
Erneut versuchte Walter, sich aufzurichten. »Du …«, begann er, dann jedoch wurde sein Körper von einem erneuten Hustenanfall geschüttelt, der ihn vor Schmerz aufschreien ließ.
Wolf griff nach dem ordentlich zusammengefalteten Tartan und dem Waffenrock aus schwarzem Leder, der neben Walter auf dem Boden lag, und zog beides an. »Ruh dich aus. Du wirst die Erholung brauchen, denn ich habe noch nicht darüber entschieden, was ich mit dir machen werde.« Ohne eine Erwiderung abzuwarten, verließ er den Saal und ging nach draußen auf den Burghof. Er musste Isobel finden, das war das Einzige, was im Augenblick zählte.
Walter hatte sie zuletzt auf dem Hof stehen sehen. Dort konnte er mit seiner Suche beginnen.
»Isobel.«
Er ging über den inneren Burghof, bis er vor dem Hühnergehege stand. »Isobel«, rief er wieder, doch die einzige Antwort war das aufgeregte Gackern der Tiere, die den Boden nach Futter absuchten. Mistress Henny hielt kurz inne und sah ihn an, widmete sich dann aber gleich wieder ihrer nahrhaften
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