Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
Unerbittlich kam er näher. »Du kannst ruhig schreien, denn hier hört dich niemand.«
Wie der Blitz bückte sie sich und hob ein langes, spitz zulaufendes Stück Holz auf. »Bleibt, wo Ihr seid.«
Grange hielt inne und verzog missbilligend den Mund. »Gegen mich hast du keine Chance.«
»Was habt Ihr mit uns vor?«
»Das, meine Liebe, hängt einzig davon ab, ob wir zu einer Einigung kommen.«
»Was für eine Einigung?«
»Ich will, dass du mir etwas gibst.« Er kniff die Augen zusammen. »Sobald ich es habe, unterhalten wir uns über den Rest.«
»Ich besitze nichts von Wert.« Was für ein Spiel sollte das nun sein?
»Da irrst du dich.« Er hielt ihr die Hand hin, die so groß, finster und beängstigend war wie der ganze Mann. »Du kannst mir zur anderen Hälfte des Schicksalssteins verhelfen.« »Ich weiß nicht, wovon Ihr redet.«
»Doch, das weißt du.« Bei diesen Worten wurde sein Blick noch finsterer. In seiner anderen Hand hielt er einen kleinen weißen Stein, der an einem Lederband hing: die Halskette, die ihre Mutter ihr vor Jahren vermacht hatte. »Das erkennst du doch bestimmt wieder, oder?«
Unwillkürlich legte sie die Hände auf die Brust, wo der Stein sonst immer geruht hatte. »Woher habt Ihr das?«
Er sah zu Fiona. »Fiona ist nicht nur eine nützliche Spionin, sondern auch eine Diebin. Und nun will ich die andere Hälfte haben. Ich bin mir sicher, dein Ehemann wird sie mir gerne überlassen, wenn er sieht, dass du in meiner Gewalt bist.«
»Wofür benötigt Ihr beide Hälften?«, fragte sie, um Zeit zu schinden, damit sie sich einen Fluchtplan überlegen konnte. Niemals würde sie zulassen, dass er sie als Köder benutzte, um ihren Mann in eine Falle zu locken.
»Ich will die Steine wieder zusammenführen, denn erst dann wird das Haus Balliol wieder über Schottland herrschen.«
»Ihr seid kein Balliol.« Sie hielt den Stock fester umschlossen.
Ein beängstigendes Grinsen umspielte seine Mundwinkel. »Aber ich habe eine Balliol geheiratet, und das verschafft mir gewisse Rechte und Privilegien. Besitze ich beide Hälften des Steins, dann kann ich die Ereignisse kontrollieren, die meine Thronfolge sicherstellen werden. Und jetzt komm her.«
Der Stock war alles, was sie von ihm trennte. Ein spitzer Stock, der zwischen Vernunft und Wahnsinn stand. Ihre Mutter hatte stets beteuert, dass dieser Mann verrückt war. Isobel hatte immer gehofft, diese Behauptungen seien nur ein Hirngespinst ihrer Mutter, doch jetzt musste sie erkennen, dass das keineswegs der Fall gewesen war.
Als er noch ein Stück näher kam, blitzte unter seinem Stoff etwas metallisch Glänzendes auf. Isobel schaute in seine unergründlich schwarzen Augen, konnte dort aber nur Besessenheit entdecken, jedoch keinen Funken Vernunft.
Plötzlich machte er einen Satz auf sie und holte mit einem Messer nach ihrem Gesicht aus. Sie konnte gerade noch den Stock hochreißen, um seinen Arm abzuwehren, dann wirbelte sie zur Seite weg und entging nur knapp seiner Attacke. Er versuchte einen neuerlichen Vorstoß, doch diesmal stürzte sich Fiona auf ihn. Wütend heulte er auf und fuchtelte mit den Armen, um sein Gesicht vor ihren Fingernägeln zu schützen, da sie mit den Händen nach ihm schlug. Kurz entschlossen holte er aus und schlug ihr die Faust gegen die Schläfe. Die Wucht des Treffers schleuderte ihren Kopf so heftig zur Seite, dass Fiona zu Boden ging und dort reglos liegen blieb.
Wieder konzentrierte sich Grange auf Isobel, hielt das Messer vor sich ausgestreckt und lauerte auf die richtige Gelegenheit, um zuzuschlagen. Wenn sie etwas unternehmen wollte, dann jetzt. Sie hielt den Stock fester und atmete zitternd tief durch, und im nächsten Augenblick flog sie förmlich über den Waldboden. Sie wich umgestürzten Bäumen und knorrigen Wurzeln aus, die nach ihr zu greifen schienen und den Saum ihres Kleids in Fetzen rissen.
Die Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg zwischen den Baumkronen hindurch bahnten, spendeten genug Licht, um sie zügig vorankommen zu lassen. Und doch waren hinter ihr schon die schnellen, schweren Schritte ihres Verfolgers zu vernehmen, die unerbittlich näher kamen. Isobel betete, schneller laufen zu können. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu, und der Wind ließ ihre Augen tränen.
Sie musste ihm davonlaufen. Der Weg fiel ab und wand sich zwischen den Bäumen hin und her, zahlreiche Waldbewohner liefen in Panik davon, als sie von der vorbeihetzenden Isobel aufgescheucht wurden. Sie bog in
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