Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
offen spreche, aber Ihr seid nicht länger die Frau, die wir von dieser Insel retteten. Ihr seid nicht mehr die Dienstmagd, die sich in ihr Schicksal gefügt hat. Ihr seid jetzt die Ehefrau eines großen Kriegers, und Euch stehen Möglichkeiten zur Verfügung, die Ihr Euch im Augenblick gar nicht vorstellen könnt und die Ihr erst erkennen werdet, wenn Ihr nach dem greift, was Ihr haben wollt.«
Was wollte sie? Zahlreiche Möglichkeiten gingen ihr durch den Kopf, und plötzlich musste sie lächeln. Der Tag, den Wolf mit ihr verbrachte, hatte ihr das Gefühl gegeben, dass ihr Leben und ihre Fähigkeiten einen Sinn hatten. Diese gemeinsame Zeit mit ihm kam ihr so vor, als habe sie ein Leben lang tief geschlafen, und nun ganz plötzlich sei sie aus diesem Schlaf erwacht.
Davon wollte sie mehr erleben. Doch dann wurde sie ernst. Hätten ihr doch nur nicht ihre eigenen Geheimnisse im Weg gestanden.
Brahan stutzte. »Was ist los? Gerade eben habt Ihr noch gestrahlt.«
»Es gibt Dinge, die ich Wolf anvertrauen muss, aber ich bin mir nicht sicher, ob er es verstehen wird.«
»Wolf wird Euch dafür respektieren, dass Ihr ihm die Wahrheit sagt.« Brahan musterte sie eindringlich. »Und glaubt mir, er wird die Wahrheit erfahren. Die Frage ist nur, ob von Euch oder ob sie ihm von einem anderen zugetragen wird. Das solltet Ihr in Erwägung ziehen.«
Ihre Wangen begannen zu glühen. Über diese Möglichkeit hatte sie bereits nachgedacht. War es besser, wenn sie ihm die Wahrheit über ihre Herkunft verriet oder wenn sein Feind das an ihrer Stelle tat? Und wenn er ihre Geheimnisse kannte, welche Zukunft gab es dann noch für sie?
»Habt Ihr so viel zu erwägen?«, riss Brahans Stimme sie aus ihren Überlegungen.
»Nein.« Bei dieser Erkenntnis richtete sie sich zu ganzer Größe auf. Sie musste gar nichts erwägen. Sie hatte nichts zu verlieren und alles zu gewinnen, wenn sie ihm die Wahrheit sagte.
Die letzten Zweifel lösten sich in Wohlgefallen auf, an ihre Stelle trat eine erwachende Hoffnung. »Ich muss mit Wolf sprechen.« Gerade wollte sie zum Tor gehen, da fiel ihr Blick auf Mistress Henny, die sich abseits von den anderen Hennen auf dem Hof aufhielt.
Sie drehte sich zu Brahan um. »Würdet Ihr mir einen Gefallen tun?«
»Sagt mir, worum es geht, und Ihr könnt es als erledigt betrachten.«
»Füttert bitte die Hennen.«
Verwirrt sah er sie an. »Ihr wollt, dass ich die Hennen füttere?«, fragte er.
»Aye. Und gebt Mistress Henny das Futter nicht an einer gesonderten Stelle, so wie ich das bislang stets gemacht habe. Wenn sie Hunger hat, dann muss sie lernen, mit den anderen gemeinsam zu fressen.«
»Wie Ihr wollt. Allerdings müsst Ihr mir in einem Punkt helfen, denn ich weiß nicht, was Hühner … fressen.«
Noch bevor er sein Anliegen ausgesprochen hatte, war Izzy bereits in Richtung der Feste unterwegs und lächelte dabei so strahlend, wie er es nie zuvor bei ihr gesehen hatte.
Auch Brahan musste lächeln, als er ihr nachschaute. Sie hatte den von ihm hingeworfenen Köder geschluckt. Das dürre Mädchen von St. Kilda war tatsächlich eine echte Kriegerin.
Einundzwanzigstes Kapitel
Izzy hob die Hand, um an die Tür zu Wolfs Privatgemach anzuklopfen. Sollte sie wirklich klopfen? Was war, wenn er schlief? Würde er es wollen, dass sie ihn störte?
Sie tippte nur leicht an, doch das genügte, dass die Tür von selbst aufging. Wie eigenartig. Wenn er schlief, sollte die Tür verschlossen sein. Sie drückte sie noch etwas weiter auf, doch anstelle von Stille schlug ihr ein Stimmengewirr entgegen. Er war nicht allein.
Sie warf einen Blick in sein Gemach und musste feststellen, dass etliche Leute ihr die Sicht versperrten. Eine Stimme erhob sich laut über die anderen und warf an der gewölbten Decke ein Echo. »Eine Nachricht, Mylord. Sie trägt sein Siegel.« Im nächsten Moment rief der Verwalter: »Mylord, was wollt Ihr mit den Wilderern machen?«
Andere Anwesende stimmten ein, bis aus dem Stimmengewirr kein klares Wort mehr herauszuhören war. »Die Speisenfolge!«, durchdrang eine schrille Frauenstimme das Durcheinander. »Wenn er wie angedroht hier eintrifft, was sollen wir ihm dann servieren? Und die Bauern wollen wissen, wann sie mit ihrem Getreide rechnen können. Das Getreide ist bereits in Anteile aufgeteilt worden, aber wir benötigen Eure Erlaubnis, um es auszugeben.«
War ihr erster Eindruck zutreffend gewesen? In der Burg und auch ringsum schien alles reibungslos zu laufen. Die Frage
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