Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
und sie beide zurückließ. Sie betrachtete ihren Ehemann und erfreute sich an dem Gefühl, dass sein Kopf auf ihrem Schoß lag. Sie verspürte zu ihm eine eigenartige Nähe, die ihr Vater ihr nichtsahnend aufgezwungen hatte.
Mit zitternden Fingern wischte sie ihm Schmutz und Blut von der Wange. Sie war nie eins von den Mädchen gewesen, die ausgefallene Wünsche äußerten. Ihr Leben war stets mehr auf ihr Überleben als auf irgendetwas anderes ausgerichtet gewesen. Und doch regte sich jetzt in ihr ein ungewöhnlicher Wunsch.
Würde sie sich doch bloß nicht mehr im Griff ihres Schicksals, ihres Vaters und ihrer Ängste befinden. Vielleicht wäre dann für sie ein richtiges, normales Leben möglich. Vielleicht sogar ein Leben an der Seite dieses Mannes.
Izzys Blick wanderte von Wolf zu dem schwindenden Tageslicht, das beständig der heranrückenden Nacht wich. Es war ein fast magischer Augenblick, in dem das letzte Licht des Tages verblasste und die Dunkelheit alles zu überziehen begann. Die Zeit stand still, ihr Herzschlag wurde langsamer, und alles schien möglich zu sein.
Würde sie jemals Freiheit erfahren?
Ein Geräusch hinter ihr holte sie aus ihren Gedanken. »Es wird Zeit zu gehen, Mylady.«
Brahan hockte sich neben ihr hin.
Sie nickte und ließ ihren Ehemann los. Mit der Hilfe von zwei Rittern wurde er auf ein Pferd gehoben, dann saß Brahan hinter ihm auf und stützte ihn mit seinem Körper.
»Helft der Lady auf ihr Pferd«, rief Brahan den anderen Männern zu, während er bereits losritt.
»Er ist wach.«
Izzy hörte auf, die Fläche vor dem Hühnerstall zu harken, und drehte sich zu Brahan um, der gegen den Stall gelehnt dastand. Gegen den Protest der Dienerschaft hatte sie darauf bestanden, diese Arbeit zu übernehmen. Ihre Finger hielten die Harke verkrampft fest, als sie fragte: »Geht es ihm gut?« Sie konnte nicht verhindern, dass Angst in ihrer Stimme mitschwang.
»Wenn Ihr wissen wollt, ob Lord Grange es geschafft hat, ihn mit seiner Folter in den Wahnsinn zu treiben, kann ich Euch beruhigen. Das ist ihm nicht gelungen.« Brahan stieß sich von der Stallwand ab und kam zu ihr, dann nahm er ihr die Harke aus den Händen. Izzy wollte sie ihm wieder abnehmen, aber er hielt das Gerät so weit weg, dass sie nicht heranreichen konnte. »Wolf ist stark, und er hat in seinem Leben viel mitgemacht. Sein eigener Vater quälte ihn auf eine Art und Weise, die Grange nicht einmal im Traum einfallen würde. Ich glaube, kein Mensch ist in der Lage, Wolfs Willen zu brechen.«
Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass ihr Vater Wolf nichts hatte antun können. Zumindest diesmal nicht. Doch was würde Grange mit ihm machen, wenn er dahinterkam, dass Wolf ausgerechnet seine Tochter geheiratet hatte? Sie sah zu Brahan, wich jedoch gleich wieder seinem Blick aus. Hatte ihr Vater Wolf von ihrem Verwandtschaftsverhältnis berichtet? Wusste er, wen er in Wahrheit zur Ehefrau genommen hatte? »Hat der Lord Euch erzählt, was geschehen ist?«, fragte sie zögerlich.
»So viele Fragen«, meinte Brahan lächelnd. »Geht und fragt ihn selbst.«
Sie schüttelte den Kopf. In der letzten Nacht hatte sie in der Dunkelheit neben seinem Bett gesessen, doch sie war nicht bei ihm gewesen, seit er aufgewacht war. Dafür fühlte sie sich noch nicht bereit. Erst musste sie ihr Herz unter Kontrolle bringen, das zu rasen begann, sobald er sie berührte. Und genauso musste sie einen Weg finden, wie sie ihm ihre Geheimnisse anvertrauen konnte, ohne von ihm verstoßen zu werden.
»Nun, das ist wirklich zu schade für Wolf, denn von diesem Moment an bin ich nicht länger der Bote, der Nachrichten zwischen Euch beiden überbringt. Ihr seid seine Ehefrau, er ist Euer Ehemann.« Er machte eine nachdenkliche Miene. »Seine Verletzungen sind nicht so schlimm, und ich schätze, morgen ist er wieder auf den Beinen.«
»Das ist viel zu früh!«
Er zuckte mit den Schultern. »Er ist eine Kämpfernatur, ganz so wie Ihr.«
»Eine Kämpfernatur?« Izzy wich seinem Blick aus und sah zu Boden. Aus Rastlosigkeit und Unschlüssigkeit heraus, wie sie ihrem Ehemann helfen konnte, war sie in eine alte Gewohnheit verfallen. Schon auf der Insel hatte sie sich am besten ablenken können, wenn sie zur Harke griff und rund um den Hühnerstall saubermachte. Doch an diesem Morgen waren ihre Gedanken verworrener als je zuvor. »Ich sehe mich nicht als Kämpfernatur.«
»Ihr habt Euch verändert, Mylady«, erklärte Brahan. »Verzeiht, wenn ich so
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