Der Seitensprung
ist ja noch Axel. Zuerst brauche ich eine Wohnung, damit er auch bei mir wohnen kann.«
Und da begriff er, dass es mitten in all dieser Ichbezogenheit einen Sohn gab.
Es gab einen Sohn.
Und dort in der Vorortpizzeria saß sein Vater, versteckt aus Angst, dass ihn jemand entdecken könnte, und aß Pizza mit einer Hure.
Es war dunkel geworden, als er in die Straße einbog, wo sie zu finden war. Er blieb neben dem Auto stehen und betrachtete fasziniert das Leuchten der Nackamasten einige hundert Meter entfernt. Das seil webende Licht erhellte die Wolkendecke. Natürlich wohnte sie unter einem Scheinwerfer, man musste nur dem hellen Strahl folgen.
Diesmal kletterte er gleich aufs Grundstück, blieb bei jedem Fenster stehen und spähte auf seinem Weg ums Haus vorsichtig durch die dunklen Scheiben. Nirgendwo eine Spur von ihr. Dann gelangte er zur Rückseite und sah den Schein einer Lampe durch das große Fenster neben der Terrassentür. Er trat zurück auf den Rasen, um nicht zu nahe zu kommen, wollte nicht riskieren, dass sie ihn entdeckte. Noch nicht. Nicht, bevor sie bereit war.
Dann durfte er sie endlich wieder sehen. Nur mit einer Leselampe saß sie in einem Sessel direkt am Fenster. Eine Sekunde lang glaubte er, sie starre ihm direkt ins Gesicht, aber dann begriff er, dass ihre Augen blind in die Dunkelheit schauten, die ihn umgab. Er konnte nicht widerstehen und trat näher. Schritt für Schritt, unendlich langsam näherte er sich der Terrasse. Drei Schritte die Treppe hinauf, und dann war er ganz dicht neben ihr. Ganz nah. Nur eine Glasscheibe hinderte ihn daran, sie zu berühren. Ein Buch lag geschlossen auf ihrem Schoß, und er betrachtete ihre Hände, die gefaltet darauf ruhten. Dieselben Hände, die ihn liebkost und zum Leben erweckt hatten. Ein einziger Wunsch, diese Hände noch einmal auf seiner Haut spüren zu dürfen. Er musste seine Sehnsucht stillen, ihre eine Chance geben, ihn zu verstehen. Er hob den Blick zu ihrem Gesicht. Es war vollkommen ausdruckslos, aber dann sah er, dass Tränen aus ihren Augen rannen und ihr wie weiße Spuren auf der Haut über die Wangen liefen.
O Geliebte, wenn ich dich nur umarmen dürfte. Hab keine Angst, ich bin bei dir, ich werde über dich wachen. Ich werde dir meine Liebe beweisen. Und wenn du begreifst, was ich bereit bin zu tun, um deine Liebe zu gewinnen, wirst du mich auch lieben. Für immer. Und ich werde dich nie verlassen. Nie. Er spürte plötzlich, wie seine eigenen Augen vor Dankbarkeit überflossen. Sie und er unter Tränen vereint, nur einen Meter voneinander entfernt.
Nicht einmal der Gedanke an eine einsame Nacht in der Wohnung konnte ihn schrecken.
Sicher in seiner Überzeugung, wich er zurück, umrundete das Haus und ging zurück zu seinem Auto. Wer wusste besser als er, was ein Betrug aus einer Frau machen konnte und was nötig war, um sie zu retten.
Diesmal würde es ihm gelingen.
Er hatte eine zweite Chance bekommen.
KEIN AUGE HATTE sie zugetan, als sie endlich seinen Schlüssel in der Tür hörte. Unruhig war sie im Dunkeln durchs Haus geirrt und hatte hinaus in den Garten geschaut. Nicht eine Bewegung hatte sie ausmachen können, keinen Laut, nur schwache Schatten von den Bäumen, wenn der Mond hin und wieder zwischen den Wolkenbänken auftauchte. Und dazu der verschleierte, schwebende Schein vom Licht der Nackamasten.
Sobald sie ihn kommen hörte, huschte sie ins Schlafzimmer und kroch zu Axel ins Bett. Es war nach vier.
Im Badezimmer hatte er keine Eile. Es verging eine gute halbe Stunde, bis sie ihn die Treppe hinaufkommen und sich ans andere Ende des Doppelbettes legen hörte. Erst da drehte sie sich um und tat, als wachte sie auf.
»Hallo.«
»Hallo.«
Er drehte sich um und wandte ihr den Rücken zu.
»Hattest du einen netten Abend?«
»Hm.«
»Wie war es denn mit Micke?«
»Ganz okay. Gute Nacht.«
Schon am Sonntagvormittag merkte sie, dass er ihr etwas sagen wollte. Sein rastloses Wandern durch die Zimmer dauerte an, und die Phasen wurden immer länger, die er außerhalb des Arbeitszimmers und sogar im selben Raum verbrachte, in dem sie sich befand. Sie hatte nicht vor, ihm zu helfen, das Gespräch zu beginnen, sie beobachtete genüsslich, wie er mit sich kämpfte. Doch schließlich, am Küchentisch über einem eilig zusammengeschusterten Omelett, fasste er sich ein Herz. Axel in seinem Tripptrappstuhl am anderen Ende des Tisches als Schild bei einem eventuellen Streit.
»Ich habe über das nachgedacht, was du
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