Der Seitensprung
dich nicht mehr liebt.«
Ein plötzlicher Stoß durch ihren Körper.
Eva. Was, zum Teufel. Eva?
»Wie ...«
Sie fand keine Worte, die die Frage formulieren könnten. Plötzlich hatte sich die Situation völlig geändert.
»Es ist so traurig mitanzusehen, dass eine Frau wie du glaubt, sie müsse wie Linda werden, damit man sie lieben kann. Dass du sogar ihren Namen benutzt. Linda ist eine Hure, sie ist nichts im Vergleich zu dir.«
Stumm stand sie da. Stumm und plötzlich ohne jede Orientierung. Wer war der Mann, der vor ihr stand? Wie konnte er das alles wissen? Sie hatte jetzt Angst, richtige Angst, jeglicher Kontrolle beraubt. Jede Zelle signalisierte ihr, dass sie sich verteidigen musste. Dass er eine größere Gefahr darstellte, als sie jemals geahnt hatte.
»Wie konntest du so dumm sein zu glauben, ein paar Rosen hätten ihn verändert. Ich weiß, was für ein jämmerlicher Wurm er ist.«
Er hob die Plastiktüte hoch, die er mitgebracht hatte, und leerte sie über ihrem Kopf aus. Instinktiv legte sie schützend die Hände vors Gesicht. Sie spürte, wie der Inhalt auf sie und um sie herum regnete. Und dann der Duft. Sie schaute auf ihre Füße hinab. Zwanzig rote Rosen. Abgeschnitten und von ihrem Wohnzimmertisch entwendet.
Entsetzt starrte sie ihn an.
»Jetzt aber bekommst du sie aus wahrer Liebe. Und doch darf ich, der ich dich wirklich liebe, dich so liebe, wie du bist, noch nicht einmal meinen Kopf in deinen Schoß legen.«
Sie sah sich um. Wasser auf allen Seiten. Kein Mensch. Ein Zug fuhr auf der Brücke weit hinter ihm vorbei. Die Geräusche aus der Stadt. Ganz in der Nähe und doch unerreichbar.
»Ich hätte dir gern Zeit gelassen zu verstehen, dass du mir vertrauen kannst. Dass ich immer für dich da sein werde. Mit Axel habe ich bereits Bekanntschaft geschlossen, wir hätten es also ganz langsam angehen können. Aber du wolltest ja nicht. Du zwingst mich, dir zu beweisen, wie sehr ich dich liebe.«
Sie machte einen Schritt rückwärts, tastete suchend mit dem Fuß und stellte fest, dass sie gefährlich nah an der Kante stand. Dann machte er einen Schritt auf sie zu, legte seine Hände auf ihre Schultern und sah ihr direkt in die Augen.
»Ich liebe dich.«
Den Sturz bekam sie nicht mit. Nur die Eiseskälte, die sie plötzlich umgab und ihr alle Luft aus den Lungen presste. Ihr Körper stieg an die Oberfläche auf und nahm einen keuchenden Atemzug, ein rasender Überlebenswille. Ihre Hand tastete nach dem Bootssteg, konnte ihn aber nicht finden. Im nächsten Moment schloss sich etwas um ihren Körper und zog sie unter Wasser, Mit aller Kraft versuchte sie, ihren Kopf über der Oberfläche zu halten, mit den Armen rudernd versuchte sie, sich gegen das Gewicht zu wehren. Dann fühlte sie plötzlich seine Lippen auf ihren, seine Zunge, die in ihren Mund drängte. Seine Beine fixierten sie in einem Eisengriff und zogen sie in die Tiefe, hinab in die Dunkelheit, die eisige Kälte. Die Zeit existierte nicht. Nur das Entsetzen darüber, wie unvollendet all ihr Tun und dass es jetzt für immer zu spät war. Dann spürte sie, wie ihr Widerstand nachließ und sie sich langsam, aber sicher seinem Willen fügte und aufgab.
Stille. Und in der Stille hörte sie mehr, als sie je zuvor gehört hatte.
Eine grenzenlose Stille. Hinter ihr, vor ihr, ringsherum.
Willig lieferte sie sich dem Frieden aus, der sie umschloss.
Endlich.
Sie brauchte nicht mehr zu kämpfen.
Alles war gut.
»DU FINDEST ES vielleicht albern, dass ich hier so sitze und mit dir rede, aber ich bin mir sicher, dass du mich auf irgendeine Art hören kannst. Ich weiß nicht, ob du das verstehst, aber ich spüre ganz deutlich, dass du für immer ein Teil von mir sein wirst, vielleicht ist es für alle Mütter so, dass das Band nie richtig durchtrennt wird, es wird umso deutlicher, wenn ... o Eva ... meine geliebte kleine Eva, wie konnte es nur so weit kommen?
Verzeih mir. Es ist ja keinem von uns geholfen, wenn ich hier sitze und heule, aber ... es ist einfach so leer und einsam ohne dich. Erik, tja, wir stützen einander so gut wir können, aber er schafft es noch nicht einmal hierher zu kommen, obwohl ich ihm immer wieder sage, dass es ihm sicher gut täte.
Ach, wenn du mir doch ein Zeichen geben könntest, wie auch immer, mir einfach irgendwie zeigen würdest, dass du mich hörst.
Axel fragt so oft nach dir, was sollen wir ihm bloß sagen? Er hat ja auch den Kindergarten gewechselt. Ich verstehe zwar nicht, warum das
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