Der Semmelkoenig
oder gehen sehen? Vielleicht Frau Blum?«
»Herr Kommissar, Sie werden es nicht glauben, aber das habe ich wirklich. Nachdem nämlich der unmögliche Junge, der Sebastian, wie ein wilder Stier von Ihren Leuten abgeführt wurde – er hat dabei gegen mein Gartentürchen getreten – sehn Sie mal!«
Hammer tat ihr den Gefallen und war auch entsetzt. Das hatten das arme Türchen und die freundliche Nachbarin wirklich nicht verdient.
»Na ja, ein bisschen Farbe könnte helfen«, versuchte er sie zu trösten. »Aber jetzt mal weiter mit Ihrem Bericht. Was is nach dem da passiert?«
»Ja, ich stand danach hier so rum und hab mir gedacht, jetzt geh ich mal rüber und sag der Blum, dass sie für den Schaden aufkommen muss, da is sie auch schon von selbst rausgekommen. Ganz schnell und hektisch is sie gelaufen. Wäre beinahe gestolpert.«
»Aha!«, entfuhr es Hammer und seine Begeisterung über diese aufmerksame Zeugin war nicht mehr zu übersehen. Warum hatte Gerster – dieser Glückspilz, der gestern die geraden Hausnummern übernommen hatte, während Hammer sich mit Alkoholikern, Türken und anderen unerfreulichen Zeitgenossen herumärgern musste – nichts von ihr erzählt? Dieser Ignorant, dieser Anfänger! Und Maus? Hatte der jemals mit dieser interessanten Frau gesprochen? Er bezweifelte es, denn sonst wären sie mit den Ermittlungen bestimmt schon viel weiter. Für Hammer war klar, diese Dame schickte der Himmel und er würde die Lorbeeren kassieren. Aufgeregt überlegte er, ob er die Beobachtungen vielleicht aufschreiben sollte, aber dann fiel ihm ein, dass er gar kein Notizbuch bei sich hatte. Zu schnell war er zu dieser augenscheinlichen Routineaufgabe aufgebrochen. Na, dann würde er eben alles in seinem fabelhaften Gedächtnis speichern.
»Erzählen Sie weiter, Frau Wieland!«, forderte er sie ungeduldig auf.
»Ja, nix weiter. Sie hörte mir gar nicht zu, als ich ihr den Schaden zeigen wollte. Ging einfach weiter zur Bushaltestelle da vorne. Eine Unverschämtheit, meinen Sie nicht auch?«
Sie konnte den Gesichtsausdruck ihres Gesprächspartners nicht so richtig einordnen. Wo vor ein paar Sekunden noch Interesse und Anerkennung zu lesen waren, kam es ihr nun so vor, als ob er ein bisschen enttäuscht wäre. Fieberhaft überlegte sie, was er denn eigentlich zu hören wünschte.
»Sie nahm die Linie 13«, fügte sie schnell hinzu.
Es war ein Versuch, aber Hammer wirkte immer noch nicht allzu überzeugt.
»Tja«, seufzte er. »Die 13 fährt ’ne weite Strecke. Sie kann bis zum Marktplatz gefahren sein, um einzukaufen. Ins Präsidium, um ihren Sohn zu besuchen, aber da war sie nicht, denn das hätte ich erfahren. Oder sie ist auf eins der Dörfer gefahren. Aber sie könnte natürlich auch umgestiegen sein.«
»Ja, das kann natürlich alles sein«, auch Frau Wieland war im Geiste die Stationen der Linie 13 durchgegangen, dann kam ihr aber eine andere Idee:
»Wissen Sie, was mir aber so im Nachhinein doch ein bisschen merkwürdig erscheint? Ich mein, ich kenn die Blum ja schon, seitdem sie hier vor 25 Jahren hergezogen is. Ich hab damals die ganzen Geschichten mit ihrem ersten Mann – dem Vater von dem Bub – mitbekommen. Der war Österreicher und ein ganz brutaler Mensch, sag ich Ihnen. Wir waren damals alle froh, also ich, mein Mann – Gott hab ihn selig – und die Nachbarschaft, als sie sich endlich haben scheiden lassen, und der wieder zurück in seine Alpenschlucht gegangen is. Tja, und dann hat die Blum im Urlaub in Spanien ihren zweiten Mann kennengelernt. Gott sei Dank, diesmal ein Deutscher! Aber die waren nie verheiratet. Die Heidi is von ihm. Getaugt hat der Kerl jedoch auch nix! War der erste ein ganz Harter, so war der zweite ein Waschlappen. Ein verzärteltes Bübchen aus gutem Haus, der keine Familie ernähren konnt. Immer hat er gejammert über die Kälte, hat nach Sonne und Meer gejault und sie dann nach drei Jahren wieder verlassen, der Lump! Einfach fort, hat sie mit den Kindern im Stich gelassen. Ich glaub, jetzt is er irgendwo in Vietnam, hat sogar eine Einheimische geheiratet und betreibt ein kleines Hotel. Aber an dem Tag, als er wegging, hat sich die Blum genauso verhalten wie gestern. Sie, na, wie sagt man, sie is wie so eine lebende Tote rumgelaufen … Äh, wie nennt man die?«
»Zombie«, half Hammer aus, der, seitdem sie mit dieser wunderbaren Klatschgeschichte angefangen hatte, gebannt an ihren Lippen hing.
»Ganz genau, so ein Zombie war die. Hat durch einen
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