Der Semmelkoenig
nur nicht mit dieser Frage. Meinte sie es wirklich ernst?
»Äh, geht so …«, sie schluckte den Kloß hinunter, der ihr schon wieder auf die Stimmbänder drückte. »Und … und dir? Wie verkraftest du’s mim Schorschi?«
»Ich hatt noch nicht so viel Zeit, mir darüber ’nen Kopf zu machen«, log Claudia. Sie wollte jetzt nicht darüber sprechen.
»Ja, verstehe. Männer! Ich hatt grad den Superstreit mim Andreas. Deshalb musst ich mal raus.«
Wütend blickte sie auf ihr Haus. Im Wohnzimmer brannte Licht und durch das geöffnete Fenster drangen nun die schrägen, schrillen und vor allem lauten Töne eines offenbar sehr gequälten Saxophons. Auch Claudia lauschte überrascht. Ob es wohl einen Schutzverein für misshandelte Instrumente gab?
»Das hört man«, konnte sie sich daher den Kommentar nicht verkneifen.
»Pffft!«, schnaubte Sybille. »Er will Krieg? Den kann er haben!«
Aber sie war offensichtlich zu erschöpft, um ihren Worten Taten folgen zu lassen. Stattdessen wandte sie sich wieder an Claudia.
»Und was machst du hier? Hast wohl kontrolliert, ob deine Jungs auch ja alles richtig machen!«
»So ungefähr.«
Sie dachte an die drei Männer in Möllers Wohnzimmer. Dort war es kaum mehr zum Aushalten. Ercan hatte im Laufe des Nachmittags anscheinend alle in den Wahnsinn getrieben. Krautschneider hatte sie um eine baldige Ablösung angefleht, während Schuster gerade dabei gewesen war, aus einer Zeitschrift weitere Seiten herauszureißen, um damit Papierflieger zu basteln, mit denen er dann den türkischen Kollegen bombardierte. Ines war derweil in der Küche damit beschäftigt gewesen, ihre aufgebrachte Mutter zu trösten, die anscheinend besonders unter Ercans rassistischen Beschimpfungen gelitten hatte. Es herrschte Ausnahmezustand, aber leider mussten die Männer noch eine Weile durchhalten. So viel Elend hinter sich gelassen zu haben, belastete Claudia natürlich, doch sie hatte Wichtigeres zu tun.
»Eigentlich bin ich auf der Such nach meinem Kollegen. Dem Kommissar Petersen.«
»Dem Hannes?«
»Dem Hannes!«, äffte sie Sybille genervt nach. Langsam hatte sie keine Lust mehr, ihn zu finden. Musste er denn mit allen Frauen in ihrer Umgebung flirten? Und sie war sich sicher, dass er geflirtet hatte, denn Sybilles Gesichtsausdruck sprach Bände. Steffi hatte ähnlich verzückt geschaut!
»Den hab ich heut Nachmittag getroffen«, Sybille schien völlig immun gegenüber der wechselnden Stimmung und fuhr ungerührt fort. »Hier steht noch sein Fahrrad. Er wollte zu dieser Klöter. Aber seitdem hatt ich zu viel um die Ohren und hab ihn natürlich nicht mehr gesehen.«
Erstaunt spürte Claudia jetzt, dass Sybille ihren Arm genommen hatte und sie wegziehen wollte.
»He, was haste vor?«
»Na, wir werden mal nachsehen. Vielleicht hat die Alte den armen Kerl vernascht! Ich könnt ihr das noch nicht mal verdenken!«
Sie hielt inne. Ihr war offensichtlich ein guter Gedanke gekommen. Rasch wandte sie sich um, lief ohne ein Wort der Erklärung zurück zu ihrem Haus und verschwand dort. In der Diele zog sie rasch eine Schublade auf und griff hinein. Zu dem leidenden Saxophon waren noch andere bizarre Klänge von diversen Blasinstrumenten hinzugekommen. Verzweifelt versuchte nun auch ein Klavier sich der nichtvorhandenen Melodie anzuschließen. Sybille verdrehte die Augen und brüllte die Treppe hinauf: »Keeeeevi, Jeeeeeenny, seid’s schön brav und putzt’s scho amoi de Zähn. Ich bin gleich wieder da!«
Leider näherte sich die Musik gerade ihrem Höhepunkt, denn sonst hätte sie den dumpfen Schlag eines auf dem Boden aufkommenden, kleinen Mädchenkörpers gehört.
100
Maus hatte es geschafft. Nicht nur, dass er mit den neusten Fortschritten der Ermittlungen die Presse beeindrucken konnte, sondern auch das Gespräch mit dem Bürgermeister war fast harmonisch verlaufen. Natürlich war der, politisch gesehen, erste Mann der Stadt sehr besorgt über das Verschwinden des, wirtschaftlich gesehen, ersten Mannes, aber so nach und nach kristallisierte sich heraus, dass er gar nicht allzu erpicht darauf war, Möller bald wiederzusehen. Vermutlich spielten Faktoren, wie der Versuch des Bäckermeisters im Gemeinderat die Autorität des Regierenden in Frage zu stellen und zu unterminieren, und die Ambition Möllers, als Gegenkandidat des Bürgermeisters bei der nächsten Wahl zu kandidieren, eine große Rolle. Fast gelangweilt hatte er Maus Bericht zugehört und dabei mit einem teuren Füllfederhalter
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