Der Semmelkoenig
um sich noch einmal zu überzeugen. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Ihre Helfer waren über und über mit Schlammbrocken bedeckt. Besonders hart hatte es Wolfgang getroffen. Ärgerlich pflückte er einen großen Klumpen schwarze Erde aus seinen Locken.
»Ja, Kruzifix, des stinkt doch etwa nicht?! Oh nein, da war bestimmt auch Gülle mit bei! Hier Claudi, riech mal.«
»Bah, ja spinnst jetzt vollkommen? Geh weg mit dem Ding!«
Entsetzt war seine Cousine zur Seite gesprungen. Wider Erwarten war es Krautschneider, der erst genauso geschockt, entsetzt und angeekelt war, sich aber gleich eines Besseren besann und erst leise, aber dann immer lauter und lauter zu lachen begann.
Erika riss ihre Tür auf und stieg aus. Verwundert sah sie ihre Gefährten an. Claudia, die kreischend vor ihrem Cousin davonlief, Wolfgang, der immer mehr Erdbrocken von seiner Kleidung pickte und kichernd damit nach ihr warf und Krautschneider, der vor lauter Lachen schon Bauchschmerzen hatte und sich daher am Auto abstützen musste. Waren die jetzt alle komplett verrückt geworden?
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Sie war wieder gegangen und ließ ihn allein zurück. Nein, nicht ganz allein, denn die Ratten machten sich quietschend rechts von ihm bemerkbar. Ekelhaft und viel zu nah. Leider hatte sie das Licht wieder mitgenommen, aber er konnte sich Dank des Mondscheins und seiner aufrechten Sitzposition wenigstens umsehen. Der Raum war riesig. Vielleicht eine Turnhalle? War er womöglich in der Nähe einer Schule? Er lauschte angestrengt. Na ja, in Anbetracht dessen, dass er sich auf dem Lande befand, konnte er nicht damit rechnen, irgendwelche Passanten, Nachbarn oder sogar sich im Einsatz befindliche Kollegen zu hören. Hier wurden mit der untergehenden Sonne bekanntlich die Bürgersteige hochgeklappt. Es raschelte. Schnell blickte er in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Eine fette graue Ratte saß nicht weit von ihm entfernt, schnupperte, schien zu überlegen, ob sie zu ihm laufen sollte, begann sich dann aber stattdessen in aller Seelenruhe zu putzen. Schweiß brach aus all seinen Poren, denn wenn es etwas gab, wovor es ihm tatsächlich grauste, dann waren es diese struppigen, schmutzigen, Krankheiten übertragende Nager. Verzweifelt zerrte er wieder an seinen Handfesseln. Gab es denn keine Möglichkeit, sich irgendwie zu befreien? Eine scharfe Kante, ein Stein, ein Stück Glas, mit dem er das Seil durchschneiden konnte? Resigniert musste er feststellen, dass diese Hilfsmittel offenbar nur in Romanen existierten und da in seiner Geschichte kein Autor Mitleid zu haben schien, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich erschöpft gegen die kalte Wand in seinem Rücken zu lehnen und abzuwarten.
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»Es kann wirklich nicht mehr weit sein!«
Erika merkte selbst, dass sie nicht sonderlich überzeugend klang. Nachdem sich alle wieder etwas beruhigt hatten, waren sie zu dem Entschluss gekommen, dass der Wagen nicht mehr zu bewegen war und man das letzte Stück zu Fuß gehen musste.
»Wo genau soll denn das Schloss stehen?«, fragte Krautschneider.
»Äh, da vorne, glaub ich. Da, wo der Wald beginnt.«
Sie deutete in die Ferne, während sie so zügig ausschritt, dass die anderen kaum mitkamen. Krautschneider versuchte, die Distanz abzuschätzen.
»Hm, das is aber jetzt wirklich nicht mehr so weit. Ich denk mal, wenn wir das Tempo beibehalten, dann sind wir in gut dreißig Minuten da.«
»Oh nein!«, stöhnte Wolfgang.
Doch der Ausruf hatte nichts mit Krautschneiders Einschätzung zu tun, sondern mit der Tatsache, dass er offenbar etwas im Schuh hatte. Schnell setzte er sich auf einen Stein am Wegrand und schaute nach. Die anderen sahen in seiner Misere einen guten Grund für eine Pause zum Kräftesammeln, denn der Weg verlief doch recht steil bergauf. Claudia zog wieder ihr Handy hervor. Es wurde langsam Zeit, ihren Chef auf den neusten Stand zu bringen, sonst würde Maus wirklich bei seiner schlechten Meinung über sie bleiben und ihr weiterhin unterstellen, sie wolle wieder alles im Alleingang machen. Sofort sah sie, dass Schnabelhuber angerufen hatte. Warum hatte sie das nicht gehört? Vermutlich, weil das schreckliche Auto so viel Lärm gemacht hatte, dachte sie ärgerlich.
»Du, Krautschneider, ich hab da ’ne Message«, rief sie dem Kollegen zu. »Is vom Schnabelhuber! Wart! Ich sag dir gleich, was er wollt!«
Konzentriert hörte sie ihre Mailbox ab. Dann zuckte sie mit den Schultern.
»Was?«, wollte Krautschneider wissen.
»Ich glaub, wir
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