Schluck. Perfekt! Das war der schlechteste Kaffee, den sie jemals getrunken hatte, aber auch der beste, den ihr ein Mann hätte bringen können.
»Und, wie geht’s denn heute so? Was macht der Kopf?«
Claudia lachte und verschluckte sich. Zum Glück musste sie nicht antworten, denn Kommissar Maus kam herein und schritt energisch zu der weißen Tafel mit den Fotos, um das zu machen, wozu er als leitender Ermittler bestimmt war.
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»Und ich habe alles überprüft. Die Websites und Homepages, die sie besucht hat, Chatrooms, ihren E-Mail-Account …«, Ercan Acar – Betreiber des einzigen Internetcafés der Stadt und nebenbei als Computerspezialist für die Polizei tätig – hatte nun begonnen, seine Ergebnisse vorzustellen, aber Claudia konnte unmöglich die nötige Konzentration aufbringen und ärgerte sich daher über sich selbst. Was war denn nur los mit ihr? Warum schweiften ihre Gedanken ständig ab? Ihr Blick fiel auf die große Uhr an der Wand. Jetzt saßen sie schon seit über einer Stunde in diesem Raum und ihre Unruhe und ihr Missmut wuchsen. Genervt begann sie die Ärmel ihrer Jacke über die Hände zu ziehen, nur um zu sehen, wie sie ohne aussah. Absolut kindisch! Hannes stieß sie leicht in die Seite, sie blickte auf und er schüttelte kaum merklich den Kopf. Spielverderber! Dann eben nicht. Sie schaute sich um. Eigentlich hatte die ganze Besprechung mittlerweile etwas von dem Charakter eines Gottesdienstes angenommen. Alle mussten still sitzen, zuhören und warten. Hammer bohrte ungeniert in der Nase, Schnabelhuber scharrte mit den Füßen und Steffi betrachtete ihre schön lackierten Fingernägel. Aha, auch die anderen schien das ganze Computergefasel nicht sonderlich zu interessieren. Warum sagte Ercan nicht einfach: »Und hier habe ich die E-Mail von dem Komplizen. Die Adresse ist
[email protected] und weil ich so ein schlauer IT-Fuzzi bin, hab ich auch gleich herausgefunden, wer dahintersteckt! Nämlich: der Hugo Tralala, wohnhaft in der Blablastr. 1. Also, worauf wartet ihr noch? Schnappt ihn euch!«
Claudia musste bei dieser Vorstellung ein Kichern unterdrücken. Da sie dabei aber gerade Ercan ansah, kam es leider zu dem Missverständnis, dass der junge Mann nun in ihr eine Seelenverwandte mit dem nötigen Knowhow und gleichzeitig eine Aufforderung sah, noch etwas weiter auszuholen. Oh nein! Die Kommissarin vergrub das Gesicht in den Händen. Warum mussten manche Leute nur so umständlich sein. Warum konnten sie sich nicht an Doktor Frank ein Beispiel nehmen, der vorhin knapp und ohne viele Fachwörter alles auf den Punkt gebracht hatte.
»Heidi Blum, 16 Jahre.«, hatte er mit seinem Bericht begonnen, kurz in die Runde geschaut, zufrieden die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Zuhörerschaft registriert und gleich schnörkellos weitergesprochen. »Sie stürzte erst 6,23 Meter tief – hier ein Foto der Abschürfungen, die sie davongetragen hat, als sie gegen die Felsen geprallt ist. Sie kam unten auf dem Rücken auf, was durch die Autopsie zu beweisen war. Sehen Sie hier diese Aufnahmen!«
Alle hatten angewidert auf die nun folgende Diashow geblickt. Da Frank die Zeit sehr kurz eingestellt hatte, wirkte es wie ein kleiner Film. Heidi war sozusagen vor dem Publikum obduziert worden.
»Mir wird schlecht!«, hatte ein junger Beamter in der hinteren Reihe gejammert. Frank hatte es offensichtlich nicht gestört. Zu fasziniert war er von dem verblüffenden Ergebnis gewesen, das seine Arbeit in Zeitraffer gezeigt hatte.
Gut, es war ihm offenbar schwergefallen, sich wieder auf den Vortrag zu konzentrieren, als das Programm bei dem letzten Bild angelangt war, wo er freundlich lächelnd mit einem blutigen Skalpell in der Hand in die Kamera blickte. Ein schöner Schnappschuss, den er seinem Assistenten zu verdanken hatte. Ob sich seine Tochter – die die Familientradition fortgesetzt hatte und jetzt erfolgreiche Chirurgin in Chicago war – über das Foto freuen würde? Jemand hatte gelacht. Schön, wenn es den Leuten hier schon so gut gefiel, dann wäre Helene geradezu begeistert. Er hatte sich geräuspert.
»Weiter im Text. Fräulein Blum hatte zusätzlich auch ein schönes Schädelhirntrauma und einen Beinbruch. Natürlich werde ich Ihnen die Röntgenbilder nicht vorenthalten. Äh, Ercan, wo muss ich jetzt draufklicken?«
Frank war in seinem Element gewesen. Mit geröteten Wangen, ein sichtlicher Beweis seiner Begeisterung für die moderne Technik, war er Ercans Anweisungen gefolgt und hatte