Der Semmelkoenig
Haaren – am Frühstückstisch und trank aus einer großen Tasse Kaffee. Georg las vollkommen entspannt die Zeitung, obwohl er nach Claudias Einschätzung eigentlich sehr unter den Folgen eines ausgewachsenen Katers hätte leiden müssen. Missmutig betrachtete sie ihn. Die Farbe seines Veilchens ging schon langsam ins Violette über.
»Was?«, knurrte er ungehalten und ohne aufzublicken.
»Tut’s noch weh?«
»Was meinst? Die Hand oder das Auge?«
»Beides?«
»Alles halb so wild. Die Hand is nur etwas geprellt und funktioniert wieder tadellos. Der Kiefer von dem Blödhammel von gestern is wahrscheinlich gebrochen. Pech für ihn! Und an das Auge musst du dich halt gewöhnen, mein Schnittchen. Sieh mich halt mit Liebe, dann geht’s scho wieder! Noch was?«
»Nix!«
Laut raschelnd drehte er die Seite des Sportteils um und begann mit der nächsten Seite – nach Claudias Berechnung musste es sich hierbei um die Lokalnachrichten handeln.
»Doch! Eigentlich is doch was!«
Er reagierte lediglich mit einem leichten Zusammenziehen der Augenbrauen, was wie immer herrlich arrogant wirkte. Bis gestern hätte sie das als besonders reizvoll, als einen Teil seines spröden Charakters zu schätzen gewusst. Leider war heute ein neuer Tag. Claudia wusste auch nicht so genau, was sie momentan am meisten nervte. Die gestrigen Morde, die Folgen von Oberförsters Grog, die Verbrüderung von Steffi und Hannes – und vielleicht war da auch noch mehr –, während sie hier ihre Zeit mit einem Eisblock verplemperte, den sie im Herbst sogar heiraten wollte. Vermutlich war die Heftigkeit, mit der sie jetzt ihre Kaffeetasse auf den Tisch knallte, ein Zusammenspiel aus all diesen Überlegungen. Georg zuckte zusammen, um dann gelangweilt in ihr Gesicht zu blicken.
»Ich hatte gestern einen schweren Tag!«
»Wenn es dich beruhigt: ich auch!«
»Du wirst doch deine Bierzeltrauferei nicht mit meiner Arbeit vergleichen wollen?«
»Natürlich nicht!«, der besänftigende Ton, den er jetzt anzuschlagen versuchte, hatte leider die entgegengesetzte Wirkung. Claudia schnaufte wütend auf. Sie hasste es, wenn er ihr das Gefühl gab, sie sei irrational und viel zu ungestüm. Aber bevor sie etwas entgegnen konnte, blätterte er auf die Titelseite und hielt sie ihr entgegen.
»Weiß scho, was passiert ist. Hier is der Bericht. ›Rotkäppchen tot – Mordserie im Kindergarten‹ – gute Schlagzeile. Hat bestimmt der Carsten geschrieben!«
Claudias Augen wurden schmal.
»Des is ois, was du dazua zum sogn host?«
Stumm sah er sie eine Weile an, zuckte dann die Schultern, legte die Zeitung zusammen, stand auf, ging zur Kaffeemaschine und goss sich etwas nach.
»Du hättest mich ja mal fragen können, was da so war? Oder wer der Typ war, der mich gestern nach Hause gebracht hat. Und ob ich auch noch einen Kaffee möchte.«
»Gut, wie sahen die Leichen aus?«
»Geht di nix oh!«
»Würd mich aber trotzdem interessieren. Die Erste war wohl noch so ein ganz junges Mädel. Anscheinend kostümiert. Is doch sonderbar, oder? Und die zweite eine betagtere Kindergärtnerin. Erschossen?«
»Du weißt schon alles, was du wissen musst. Mehr gibt’s noch nicht!«
»In Ordnung. Mit so einer schnippischen Antwort hab ich bereits gerechnet. Jetzt zu der nächsten Ungeheuerlichkeit: Wer war das Würstchen, das dich gestern hier reingeschleppt hat und nicht die Augen von dir lassen konnte?«
Er gähnte herzhaft.
»Interessiert dich offenbar nicht besonders!«
»Stimmt! Und jetzt zum nächsten Punkt: Möchtest du noch etwas Kaffee?«
Sie packte den Henkel ihrer Tasse, fuhr herum und überlegte einen Augenblick, ob sie genau auf seinen arrogant lächelnden Mund zielen sollte. Eine aufgeplatzte Unter- und Oberlippe, ein bisschen Blut und Wehklage würden sie vielleicht aus ihrer düsteren Stimmung bringen. Aber das war ein unreifer Gedanke, schmutzig obendrein und daher die Mühe nicht wert. Seufzend stand sie auf, nahm ihm die Kanne aus der Hand und schenkte sich selber nach.
»Ich muss dann fort. Arbeit! Die Ermittlungen!«
»Hmhm, scho recht. Find mal den bösen Mörder!«
»Sehr witzig! Was hast du heut so vor?«
»Während du für Recht und Ordnung sorgst, meinst du? Hm, mal überlegen …«, er blickte versonnen aus dem Fenster. »Vielleicht spiel ich nachher mal ’ne Runde Golf. Das Wetter scheint sich zu halten.«
Claudia schaute jetzt auch aus dem Fenster. Aber sie nahm weder den schönen Morgen, noch die blühende Kastanie, noch das
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