Der Semmelkoenig
entgegen.
»Äh! Ja …«, reflexartig nahm sie das in Zellophan eingewickelte Gebäck entgegen.
»Na, Sie sehen so aus, als könnten Sie etwas Glück gebrauchen!«, erklärte Herr Li seine freundliche Geste in einwandfreiem Hochdeutsch.
»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Danke!«
»Gerne!«
Sie begann nun, die Verpackung mit den Zähnen aufzureißen, hielt dann aber inne und warf dem Restaurantbesitzer einen fragenden Blick zu. Wissend lächelte er zurück.
»Alles Geschäftsstrategie. Niemand würde bei mir bestellen, wenn ich gutes Deutsch mit einer perfekten Phonetik spräche. Sie glauben gar nicht, was es für eine Mühe ist, die ganzen Rs gegen die Ls auszutauschen. Und dann noch diese grauenhafte Grammatik. Unter uns, ich habe einen Magister in Germanistik. Aber damit kommt man in meinem Gewerbe nicht weit. Auf der anderen Seite will ich jedoch nicht undankbar erscheinen, denn manchmal macht es sogar Spaß; zum Beispiel, wenn man ungestraft aus Hammer einen Hammel machen kann, oder?«
Claudia lachte. Der Mann hatte vollkommen recht. Die hiesigen Hinterwäldler würden niemals bei ihm bestellen, wenn sie das Gefühl hätten, dass ein Ausländer in der Lage wäre, ihre fehlerhafte Muttersprache gegebenenfalls zu korrigieren.
»Chapeau, Herr Li!«
Sie machte eine verschwörerische, kleine Verbeugung, die der Chinese erwiderte.
Hannes telefonierte immer noch. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Claudia. Sie wirkte sehr angespannt und offensichtlich wollte sie mit ihm reden. Das traf sich gut, denn auch er musste mit ihr einiges besprechen. Da er aber ein Mann war und seine Konzentration nur auf eine Sache richten konnte, drehte er sich zur Wand und sprach weiter.
»Soso, er hat also nochmal angerufen. Schon früher losgefahren? Aha, das hat ihre Mutter auch richtig verstanden? … Klar, manchmal gibt es sprachliche Missverständnisse … Ja, aber das hieße dann, dass er früher … Hmhm …«
Kommissar Maus kam nun auch aus dem Besprechungsraum.
»Ah, Claudia. Da sind Sie ja. Geht es wieder? Und der Herr Li! Na, Sie haben Hauptwachtmeister Hammer ja in den siebten Himmel gebracht. Der wird gleich mit einer Riesenliste an Bestellungen zu Ihnen kommen.«
Steffi eilte hinter dem Kommissar her.
»Herr Maus, hier ist die Liste aller Personen im Landkreis, die einen Waffenschein haben.«
»Wunderbar. Wenn wir davon ausgehen, dass Annis Mörder sehr gut mit Waffen umgehen kann, finden wir hier vielleicht einen Hinweis. Setzen Sie gleich mal jemanden dran.«
Claudia legte die Stirn in Falten.
»Sie sollten aber auch nicht die Schützenvereine der Gegend vergessen. Da sind – mich natürlich eingeschlossen – einige große Talente dabei.«
»Gut mitgedacht, Frau Hubschmied. Ich merke, Sie fahren langsam wieder auf Hochtouren. Das soll der Schnabelhuber überprüfen. Jeder, der in irgendeinem Kontakt zu unseren beiden Opfern stand, wird jetzt verstärkt unter die Lupe genommen.«
»Oh je, das werden nicht wenige sein, denn in unserer Gegend, wo jeder jeden kennt …«
»Steffi, das ist nix Neues. Trotzdem möchte ich, dass alle Richtungen eingeschlagen werden. Wir müssen vielseitig ermitteln und brauchen jetzt langsam mal Ergebnisse. Was soll ich der Presse nachher erzählen?«
»Danke, ich melde mich später noch einmal!«
Hannes drückte auf eine Taste seines Handys und hatte somit sein Telefonat beendet. Doch bevor sich Claudia von Maus loseisen konnte, lief Steffi schon zu ihrem Partner und begann ein leises Gespräch. Argwöhnisch musste Claudia zusehen, wie Hannes lächelte, dann nickte und Steffi – Claudias Geschmack nach viel zu lange und sogar etwas liebevoll – ansah. Verächtlich sog sie die Luft ein. Na toll! Sie war in seelischer Not, brauchte Rat und Zuspruch und hatte absolut nicht den Nerv, Zeugin einer sich anbahnenden Revieraffäre zu sein.
»Also, dann können Sie das gleich mal überprüfen?«
Irritiert musste Claudia feststellen, dass Maus sie etwas gefragt hatte.
»Wos?«
Irgendwie kam sie sich jetzt dämlich vor. Da stand sie nun, hatte in zwei Mordfällen zu ermitteln und ließ sich von ihren Kollegen so aus der Bahn werfen. Ihr Chef musste langsam den Verdacht haben, dass sie nicht richtig tickte. Mit einem unschuldigen und wunderschönen Lächeln – ihre letzte Hoffnung noch halbwegs glimpflich aus der peinlichen Situation herauszukommen – blickte sie Maus nun treuherzig an.
»Entschuldigen Sie, aber ich hab’ grad über die Mitglieder in meinem
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