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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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unseren Kindern nie funktioniert!«
    »Ja, weil du sie verzärtelt hast! Und die Eltern von heute machen das genauso. Damals, als ich Kind war …«
    »Alfred!«
    Mahnend hob Lotte den Zeigefinger. Für einen Augenblick waren sie wieder in ihr altes und destruktives Verhaltensmuster gefallen. Schweigend sahen sie sich an. Nein, das wollte keiner mehr. Alfred lenkte ein.
    »Gut, dann machen wir es eben so, wie du denkst. Was denkst du eigentlich?«
    Ein Strahlen erleuchtete Lottes faltiges Gesicht und fast hätte sie sich dazu hinreißen lassen, ihren Mann auf die Wange zu küssen. Aber nur fast, denn Zärtlichkeiten jeder Art waren nie Teil ihres Ehelebens gewesen. »Ich denke, du gehst an den Teich und schaust mal nach. Ich werde mit dem Bub hier auf dich warten. Nein, ich würde sagen, wir gehen schon mal ganz langsam den Weg zurück, sodass du uns jederzeit einholen kannst. Und vielleicht begegnen wir ja unterwegs Leuten, die uns mit einem von diesen Händies helfen können.«
    »Nun denn, so machen wir es. Was ist mit Penny?«
    »Die begleitet dich zu deinem Schutz!«, beschloss Lotte, drückte ihrem Mann die Leine in die Hand, legte einen Arm um Pauls Schultern und zog ihn mit sich den Waldweg entlang. Alfred blickte zu seinen Füßen. Penny beachtete ihn nicht.

67
    Die Anhöhe war leider zu steil für das zwar gepflegte, aber doch etwas alte Damenfahrrad ohne Gangschaltung. Hannes musste absteigen. Der Rücken tat ihm etwas weh, was sehr wahrscheinlich auf den zu niedrig eingestellten Sattel zurückzuführen war. Leider hatte auf dem Revier so schnell kein Werkzeug gefunden werden können, sodass er gezwungen gewesen war, wie ein Buckliger durch die Stadt zu fahren; beim Treten fast mit den Knien seinen Brustkorb berührend.
    Hannes lehnte das Rad an einen Zaun und streckte sich erst einmal. Die ungeplante Pause kam ihm sehr gelegen, denn nun konnte er auch sein Jackett ausziehen. Es war schon wieder so ein warmer Tag. Das doch eher frische Klima Norddeutschlands gewohnt, musste sich sein Organismus doch tatsächlich erst auf diese neuen Wetterverhältnisse einstellen. Mit einem Taschentuch wischte er sich die Stirn und blickte dabei ins Tal, in dem das kleine, hübsche Städtchen Bad Berging lag. Wenn er jetzt ein Tourist gewesen wäre, hätte er den Anblick sogar mit einem Foto festgehalten, so idyllisch war es. Da hatte sich Wolfgang Wiesholz aber eine schöne Wohnlage ausgesucht. Hannes zögerte. Ach was sollte es! Irgendwie war er ja doch in einer Art Urlaub; dienstlich sozusagen.
    Schnell zog er sein Handy aus der Tasche und machte ein Foto. Man wollte ja auch eine Erinnerung haben, oder? Eine Erinnerung an hoffentlich bald gelöste Fälle, eine Erinnerung an vielleicht noch ein paar schöne Wochen an einem ganz anderen Ort, eine Erinnerung an neue Freundschaften … Apropos Freundschaften: Hatte sich Claudia gemeldet? Er schaute auf das Display. Nein! Nichts! Wo steckte sie denn nur? Sollte er sich Sorgen machen?

68
    Alfred kannte den kleinen Teich, von dem der Junge gesprochen hatte. Penny hinter sich herziehend, schlug er den schmalen, überwachsenen Pfad ein. An dem Busch blieb er stehen. Irgendwie konnte er das Kind jetzt schon verstehen, denn auch ihm war es nicht so ganz geheuer. Vorsichtig bog er mit seinem Stock die tiefhängenden Äste zur Seite und stutzte. Da lag ja tatsächlich einer. Ein Mann: groß, dick und offensichtlich bewusstlos oder vielleicht sogar tot. Sollte der Kleine ihm nur mit einem Faustschlag den Garaus gemacht haben? Alfred schüttelte ob dieser Absurdität den Kopf. So schnell, wie es seine alten Knochen zuließen, ging er in die Hocke.
    »Hallo?«, sagte er leise. »Hallo, hören Sie mich? Sind Sie noch am Leben?«
    Der Mann im Busch rührte sich nicht. Alfred streckte nun die Hand aus und hielt sie an den Hals des anderen. Er musste doch irgendwo einen Puls finden. In angespannter Konzentration tastete er über das dicke Fleisch. War da noch was zu fühlen? Ein Herzschlag? Er sah die hässliche Wunde an der Schläfe, das Profil des Mannes, die wächserne Gesichtsfarbe. Oh mein Gott, er war doch nicht wirklich tot? Auf jeden Fall war das nicht die Schuld des Jungen. Da hatte vor ihm schon jemand kräftig zugeschlagen. So eine Wunde hatte er schon einmal gesehen.
    Alfreds Erinnerungen schweiften in die Vergangenheit. Damals hatte er als Ausgleich zu seiner Arbeit in der Kanzlei immer mit seinen Freunden Fußball gespielt. Der Höhepunkt ihres Trainings hatte dann in dem

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