Der Semmelkoenig
blutüberströmte Fratze des Angreifers.
»Hilfe …!«
Der Junge holte aus, seine kleine Faust traf auf die Platzwunde an der Schläfe, der Mann verdrehte die Augen, brach zusammen und Paul war frei.
61
Er versuchte es noch einmal. Wieder nur der Anrufbeantworter.
»Tja, dann werde ich wohl nachher persönlich bei der Dame vorbeischauen müssen«, sprach Hannes zu sich selbst, da aber leider Maus zufällig vor ihm stand, sah dieser überrascht von seinem aufgeklappten Notizbuch auf, denn er hatte eigentlich nicht erwartet, während seiner Überlegungen gestört zu werden.
»Äh, ja, manchmal wollen die Frauen schon, dass man sich ein bisschen mehr ins Zeug legt. Vielleicht sollten Sie auch an Blumen denken?«, war die einzige Antwort, die ihm dazu einfiel. Jetzt war es an Hannes, etwas irritiert zu schauen.
»Ich meinte doch die noch fehlende Mutter, diese Frau Klöter, bei der Heidi als Babysitterin tätig war. Die werden wir noch befragen. Und auch diesen Wolfgang Wiesholz. Wegen seines Verhältnisses zu den beiden Mitarbeiterinnen und so …Ich mein, wenn Frau Hubschmied wieder da ist.«
»Ja, das sollten Sie. Dann werde ich die Chefin des Kindergartens, Frau Erika Noller … Ach, nein, das geht ja gar nicht. Die muss noch warten. Ich hab ja noch das Gespräch beim Bürgermeister. Es sei denn, Sie könnten?«
Hannes verspürte den Drang, gähnen zu müssen. Das würde ein weiterer anstrengender Tag werden. Er hatte kaum geschlafen und heute Morgen – noch bevor die Kollegen eingetroffen waren – bereits einiges recherchiert und überprüft. Er war eben ein Mann der Tat und es machte ihn wahnsinnig, das Gefühl zu haben, auf der Stelle zu treten. Sein Jagdinstinkt war geweckt: Zwei Morde; und er wollte Lösungen! Daher hielt er schnell die Hand vor den Mund, damit Maus nicht den Eindruck bekam, dass er sich eventuell langweilen würde, denn das tat er absolut nicht. Im Gegenteil: Die zusätzliche Aufgabe schien seinen Ehrgeiz sogar noch zu beflügeln. Der Kommissar, der wusste, wann er einen guten Mann vor sich hatte, nickte nur und rief dann zu Steffi, die mit Ercan vor dem Computer saß:
»Habt ihr schon was?«
»Wir sind dran, Herr Maus. Gleich …«
62
»Das war eindeutig der Warnruf des Brachvogels!«
Selbstzufrieden wieder genau ins Schwarze getroffen zu haben, drehte Alfred sich zu seiner Frau, um dort in ein äußerst skeptisches Gesicht zu blicken.
»Was? Glaubst du mir etwa nicht?«
»Ich weiß nicht …«, sie glaubte ihm offensichtlich nicht. »Für mich klang es einfach zu hoch und zu lang. Das war kein Vogel. Das muss ein Kaninchen in Todesangst gewesen sein!«
»Aber Lotte, das ist ja absurd! Ein Kaninchen! Die klingen doch ganz anders. Nein, nein, das war ein Brachvogel! Wart nur ab, gleich wird er wieder anstimmen! Wir stellen uns am besten hierhin und lauschen.«
Da standen sie nun: Alfred – das Fernglas für alle Eventualitäten parat – Lotte – eine Hand um die Ohrmuschel gelegt, um besser hören zu können –, und die hechelnde Hundedame Penny – die die ganze Länge von knapp acht Metern der Gurthundeleine ausnutzte, um im Schatten warten zu können. Mehrere Minuten tat sich nichts. Kein Geräusch. Selbst dem leichten Wind schien die Luft ausgegangen zu sein, sodass sich auch kein Blatt bewegen wollte. Aber mit dem Alter wächst ja auch bekanntlich die Geduld, beziehungsweise das Zeitgefühl verliert an Bedeutung. Das Ehepaar hätte in dieser Position vermutlich eine Viertelstunde ausharren können, aber die Auflösung des Rätsels ließ nicht lange auf sich warten.
Etwas schoss auf den Weg, wollte ihn überqueren, sah die Leine nicht, fiel darüber und landete unsanft auf dem Bauch. Penny, die dabei unweigerlich mitgerissen wurde, jaulte auf und schnappte sofort nach dem schmächtigen Jungen, der jetzt nur noch ein Schluchzen von sich gab. Zu überrascht, um gleich reagieren zu können, starrte das Ehepaar auf das Kind, das jetzt von ihrem Hund mit wütendem Gekläffe angeklagt wurde und verzweifelt anfing, im Laub nach etwas zu suchen. Lotte war die Erste, die sich aus der kontemplativen Betrachtung des Unerhörten löste – immerhin war ihrem Hund auf das Übelste mitgespielt worden – und zu dem Kind ging.
»Bub, hallo, Bub!«, leicht schüttelte sie ihn an der Schulter. »Du bist ja ganz aufgelöst. Was ist denn passiert? Hast du was ausgefressen?«
»Ich …«, aus schwer kurzsichtigen Augen schaute Paul in das verschwommene Gesicht der alten Frau. » …
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