Der Semmelkoenig
bitte, Ihr Tee. Ich hoffe, Sie mögen ihn mit Milch und Zucker?«
Dagegen war nichts einzuwenden und etwas verblüfft, dass sie doch wie ein Wasserfall reden konnte, nahm Hannes die Tasse entgegen. Dieses gastliche Zeichen tröstete ihn über seinen nicht gerade glanzvollen Auftritt hinweg. Interessiert beobachtete er die Frau. Er hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Verhärmter, hagerer und nicht ganz so freundlich. Diese Frau war mollig, schlicht gekleidet und strahlte Wärme aus. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie so etwas wie Ratgeber las. Sie war eher der Typ für Frauenzeitschriften mit vielen Kochrezepten. Aber gute Hausfrau hin oder her, wie war es ihr möglich gewesen, in dieser kurzen Zeit, so einen guten – er sog den Duft ein und nippte – grünen Tee zuzubereiten?
»Ich hatte mir den grad gekocht!«, kam die prompte Antwort auf seine Frage.
Hannes zog eine Augenbraue hoch. Sie war also doch daheim gewesen. Warum hatte sie dann aber nicht geöffnet?
»Na, da hab ich ja wohl Glück gehabt, dass Sie mich dann doch bemerkt haben und jetzt sogar Ihren Nachmittagstee mit mir teilen.«, entgegnete er trocken. Die Frau sah ihn einen Augenblick merkwürdig an, senkte dann aber den Blick und zupfte ihren langen Rock zurecht. Um das eingetretene Schweigen zu überbrücken, nahm Hannes noch einen Schluck, bevor er vorsichtig die Tasse auf dem fragilen Unterteller absetzte. Wirklich sehr gut, aber für seinen Geschmack etwas zu viel Zucker.
»Frau Klöter, ich weiß, dass ich etwas ungelegen komme und ich möchte mich dafür nochmals entschuldigen, aber wir konnten Sie den ganzen Tag nicht erreichen, deshalb bin ich jetzt persönlich …«
»Möchten Sie vielleicht einen Keks?«, unterbrach sie ihn. Hannes – so aus dem Konzept gebracht – musste erst einmal heftig blinzeln.
»Äh, wie bitte?«
»Ob Sie einen Keks möchten? Ich hab sie heute Morgen gebacken.«
Er blinzelte wieder. Irgendwie hatte er das Gefühl, als könnte er nicht mehr so klar sehen. Auch fühlte sich seine Kehle plötzlich so trocken an. Schnell nahm er einen weiteren Schluck.
»Frau Klöter, der Grund, warum ich hier bin, ist, Sie zu Ihrer Beziehung zu Ihrer Babysitterin Fräulein Heidi Blum zu befragen«, fuhr er fort. Warum war er nur so wackelig auf den Beinen? Die Frau war mittlerweile aufgestanden und hatte ihn fürsorglich am Arm genommen. Leise flüsterte sie:
»Warum setzen Sie sich nicht, Herr Hauptkommissar? Sie sehen gar nicht gut aus!«
Schwankend nahm er ihr Angebot an und ließ sich auf die Liege plumpsen. Alles schien sich jetzt zu drehen.
»Frau … Frau Klöter …?«
»Tut mir leid, Ihnen das jetzt sagen zu müssen, aber ich bin nicht Susanne Klöter. Ich heiße Blum, Sandra Blum. Und ich bin Heidis Mutter.«
Erstaunt sah er sie an, bevor ihm endgültig die Sinne schwanden und er wie ein Sack Kartoffeln zusammensackte.
87
Der köstliche Erdbeerkuchen hatte sich schon sehr verkleinert, als Inga Maus, gefolgt von dem Ganter Martin, wieder in die Küche kam. Amüsiert schüttelte sie den Kopf und stellte einen Korb mit den Habichteiern vorsichtig auf das Küchenbuffet. Da ihr Mann offensichtlich zu versunken in seine Lektüre war, um ihr die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, nahm sie ihm kurzerhand die Gabel ab und aß den Bissen, den er sich gerade genehmigen wollte.
»He!«, protestierte er und blickte sie im gespielten Vorwurf über die Ränder seiner Lesebrille an. Sie lachte und schluckte schnell runter.
»Nur ein Pirolo frisst solo!«
»Was is denn das für ein Blödsinn?«
»Ein mir gerade eingefallenes Wortspiel. Es schwingt eindeutig der Humor einer Vogelliebhaberin mit. Haste den Witz verstanden? Auf alle Fälle besser als: ›Ein Sittich knabbert nur für sich!‹ Klingt wie eine Büttenrede. Hm, der ist ja extrem lecker. Da bin ich aber froh, dass ich den gleich viermal gekauft habe.«
»Viermal? Na hör mal, so verfressen bin ich nun auch nicht!«, er nutzte die Gelegenheit und nahm ihr die Gabel wieder ab. »Da brauch ich mindestens vier Tage zu! Hält der sich denn so lange?«
»Wieso halten?«, nun war es an ihr vorwurfsvoll zu blicken. Eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen. Maus kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Es war offensichtlich, dass ihm eine winzige Kleinigkeit entfallen war. Er musste jedoch nicht lange warten, bis ihm auf die Sprünge geholfen wurde.
»Gerhard!«, entgegnete sie entgeistert. »Du hast doch nicht etwa vergessen, dass wir
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